Stefanie Zweig: Die Kinder der Rothschildallee

Da mir gleich zwei Bände geschenkt wurden, konnte ich nach „Das Haus in der Rothschildalle“ sofort mit der Fortsetzung beginnen:

Silvester 1926. Fast zehn Jahre sind vergangen. Aus den Kindern der jüdischen Familie Sternberg sind junge Erwachsene und Jugendliche geworden. Clara hat sogar schon eine eigene Tochter, Claudette. Das es sich um ein uneheliches Kind handelt, den Vater hält sie geheim, ist ihr Ruf ruiniert. Zum Glück hält die Familie zu ihr und sie kann eine kleine Wohnung im väterlichen Haus bewohnen. Ihr Zwillingsbruder Erwin lebt seit Jahren in Berlin, wo er (vergeblich) hofft, den Durchbruch als Maler zu schaffen. Victoria dagegen ist fest davon überzeugt, zur Schauspielerin geboren zu sein, scheitert aber bei ihren Bewerbungen um eine Rolle. Sie glaubt, ihr Glück ebenfalls in Berlin machen zu können, bindet ihren Eltern eine völlig falsche Geschichte auf die Nase und bricht in die Hauptstadt auf – begleitet von einem männlichen Glückssucher, von dem die Eltern nichts wissen. „Backfisch“ Alice hat die alterstypischen Schulprobleme und denkt vor allem an die Freuden der Tanzstunde und ihre zahlreichen Verehrer. Einzig Johann Isidors uneheliche Tochter Anna ist eine fleißige junge Frau, die sich nicht nur bedienen lässt.

So könnte das Leben seinen angenehmen Lauf nehmen, wenn nicht die politischen Ereignisse in Deutschland den Juden immer weniger Raum zum Leben ließen. Sternberg muss seine Geschäfte und Häuser nach und nach verkaufen, Alice wird nicht zum Abitur zugelassen, Kino-, Theater- und Schwimmbadbesuche werden unmöglich, Freunde wollen sie plötzlich nicht mehr kennen, ständig kommen neue Einschränkungen dazu, nur während der Olympiade gibt es zahlreiche Erleichterungen. Etliche Familienmitglieder bemühen sich erfolgreich um Auswanderung, andere zögern, die Heimat zu verlassen. Das Buch endet im November 1937, also noch vor Ausbruch des 2. Weltkrieges.

An Band 1 hatte ich zu große Sprünge kritisiert, Stellen, an denen ich den Faden verloren habe und langschweifige, blumige Beschreibungen. Auch waren mir manche Charaktere und Ereignisse nicht genug herausgearbeitet. Das alles trifft auf den zweiten Band nicht zu. Die Zeitsprünge sind deutlich kürzer, sodass man die Verbindung zu den Charakteren nicht verliert. Da das Buch gut 100 Seiten länger ist, gibt es auch mehr Raum, um ausführlich genug auf die verschiedenen Protagonisten einzugehen, wobei einigen deutlich mehr Raum gewidmet wird als anderen. Clara und Betsy sind mehr zu Nebenfiguren geworden, während der Fokus neben Johann Isidor vor allem auf Victoria und Erwin liegt, etwas weniger auf Anna, Alice und Claudette. Zweig arbeitet sehr gut heraus, wie sehr sich das Leben der Sternberg-Kinder, die sich alle auf des Vaters Geld verlassen und recht sorglos sind, durch den Machtzuwachs der Nazis und die zunehmenden Restriktionen immer mehr wandelt. Vieles, was ihnen selbstverständlich erschien, ist plötzlich nicht mehr möglich. Alle werden ernster und vernünftiger, passen sich den Gegebenheiten an und versuchen, nicht aufzufallen. Und so ist es plötzlich die jüngste der Töchter, Alice, die als erste ins Ausland flüchtet. Hatten sich die Sternbergs noch wenige Jahre zuvor bemüht, so deutsch wie möglich zu sein, halten sie nun die jüdischen Traditionen um so höher, je mehr sie bedrängt werden.

Dieser zweite Band hat mir viel besser gefallen als der erste, er macht sehr gut an Einzelschicksalen deutlich, wie sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten auf eine wohlhabende und gebildete jüdische Familie ausgewirkt hat. Die Sternbergs waren sehr bemüht, sich anzupassen, aber nun interessiert das niemanden mehr. Besonders habe  ich die nichtjüdische Köchin Josepha ins Herz geschlossen, eine Frau, die sich nicht von ihrem Weg abbringen lässt. Insgesamt sind die Charaktere farbig, lebendig und realistisch dargestellt, die politischen Ereignisse geschickt in die Handlung verwoben.

Das Ende lässt vieles offen, sodass ich froh war herauszufinden, dass es zwei weitere Bände gibt, die ich unbedingt auch lesen möchte.

Stefanie Zweig: Die Kinder der Rothschildallee, Heyne 2010, 400 Seiten, Euro 8,90, ISBN 978-3-453-40778-7

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