Jussi Adler-Olsen: Das Alphabethaus

Zwei britische Kampfpiloten, enge Freunde seit der Kindheit, stürzen 1944 während einer Aufklärungsmission über Deutschland ab. Auf der Flucht vor ihren Verfolgern gelingt es ihnen, sich in einem Lazarettzug unter die Verletzten zu mischen und eine falsche Identität anzunehmen. So wird aus Bryan Young Arno von der Leyen und aus James Teasdale Gerhart Peuckert – beides hohe SS-Offiziere. Als geistesgestört gelangen sie in das sogenannte Alphabethaus, eine Nervenklinik im Schwarzwald. Dort erleben sie mit, wie Simulanten ohne großes Federlesen erschossen werden. Um nicht aufzufliegen, müssen sie ihre Rolle perfekt spielen und dürfen sich nicht verraten. Das bedeutet, dass sie auch keinen Kontakt miteinander haben dürfen – und dass, obwohl Bryan kein Wort Deutsch spricht. Sie werden mit Elektroschocks malträtiert und müssen Pillen schlucken, die sie benommen machen und ihnen jegliche Lebensenergie rauben. Doch im Laufe der Zeit merken sie, dass sie nicht die einzigen Simulanten sind. Die anderen wollen um jeden Preis ihre Entdeckung verhindern, denn das würde bedeuten, entweder erschossen oder zurück an die Front geschickt zu werden. Und dies macht sie brandgefährlich …

Wird ihnen die Flucht und die Rückkehr in ihre alte Identität gelingen?

Fast von der ersten Seite an war ich von der Handlung gefesselt. Der Absturz, die abenteuerliche Flucht, das ständige Versteckspiel und die grausame „medizinische Behandlung“ waren spannend genug, aber dann kommt noch die Bedrohung durch die Bettnachbarn dazu. Im weiteren Verlauf ergeben sich zahlreiche überraschende Wendungen, über die ich nichts verraten möchte, um niemandem die Freude an der Lektüre zu verderben. Teilweise waren diese allerdings sehr konstruiert, stellenweise häuften sich auch die merkwürdigen Zufälle. An der ein oder anderen Stelle ist mir unklar geblieben, wie es dazu kam, beispielsweise während der Flucht der Simulanten. Ich muss aber gestehen, dass die Handlung insgesamt so spannend war, dass ich über solche Unstimmigkeiten einfach hinweggesehen habe, wie auch über manch eine merkwürdige Formulierung oder die stellenweise holprige Sprache.

Jussi Adler Olsen ist ein ungewöhnliches, in weiten Teilen beklemmendes Buch gelungen, das sich intensiv mit Fragen wie Schuld oder Verantwortung befasst. Er schafft es, eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen und ermöglicht es dem Leser, sich in die Psyche der beiden Protagonisten einzufühlen. Grausame Szenen werden sehr detailliert geschildert, wie es auch in den Krimis Adler-Olsens der Fall ist. Mir hätte es etwas weniger genau manches Mal auch gereicht. Auch die Einblicke in die Psychiatrie der Zeit waren sehr interessant und gleichzeitig erschreckend, denn das Dargestellte war nicht nur bei den Nazis die übliche Behandlung. Nicht nur Äußerlichkeiten werden geschildert, der Leser erhält auch einen sehr genauen Einblick in die Gefühlwelt und die Seele der beiden Briten, ihre Freundschaft, ihre Wünsche und Hoffnungen – und das langsame Absterben all dessen. Am Ende bleibt man mit der Frage zurück: War es Verrat?

In einem Interview des Verlages erzählt Jussi Adler-Olsen, wie er auf das Thema kam, warum die Geschichte in Deutschland spielt, über seine Kindheit als Sohn eines Psychiaters und vieles mehr: hier.

Jussi Adler-Olsen: Das Alphabethaus. dtv 2012, 592 Seiten, Euro 15,90, ISBN 978-3-423-24894-5

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