Dirk G. W. von Grolman (Hg.): Aus dem Leben ihres Vaters Fritz Max Hessemer

Nach dem Tod ihres Mannes fasste Emilie Hessemer den Entschluss, für ihre Kinder Notizen über das Leben ihres Vaters anzufertigen. Der im Jahr 1800 in Darmstadt geborene Hessemer war Professer für Architektur  am Staedel’schen Insititut in Frankfurt. Neben seiner zeichnerischen Begabung dichtete er, ein Teil seiner Werke wurde auch veröffentlich, oft aber nur für einen eingeschränkten Leserkreis. Er verkehrte mit bekannten Zeitgenossen wie Dr. Heinrich Hoffmann, sodass er bereits das Manuskript des „Struwwelpeter“ zu lesen bekam, August Kopisch und Gervinius. Auch war er Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung von 1848. In ihren Bericht flicht die Mutter immer wieder Gedichte, Passagen aus Briefen oder Ausschnitte aus Lustspielen ein, deren Verfasser Hessemer war. Schon damalls war sein Werk wenig bekannt, heute ist es nahezu vergessen. Dem soll die Veröffentlichung der Aufzeichungen Emilie Hessemers entgegenwirken.

Zunächst gibt der Herausgeber dem Leser einige Informationen über Leben und Werk Hessemers an die Hand und erläutert sein Forschungsinteresse. Nachdem ich mich erst einmal in die Sprache Emilie Hessemers eingelesen hatte, fesselte mich die Lebensgeschichte schnell. Zum einen steht sie beispielhaft für vermutlich viele andere der Zeit, so erfährt der Leser einiges darüber, was in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts normal und üblich war. Während man heute beispielsweise mit den S-Bahn-Linien S8 und S9 eine direkte und schnelle Verbindung von Frankfurt nach Rüsselsheim hat, musste Hessemer erhebliche Mühen auf sich nehmen, um seine in Rüsselsheim lebende Braut zu besuchen. Er fuhr meist mit dem Schiff und war einen ganzen Tag unterwegs, als der Main zufror, musste er seine Besuche einstellen. Auch sehr interessant die Schilderung der Hochzeit und der damit verbundenen Bräuche. Gerade solche Details waren es, die ich besonders lesenswert fand.

Andererseits war Hessemer sicherlich aber kein Durchschnittsmensch. Schon früh wuchs in ihm der Wunsch, Italien kennenzulernen. Also machte er sich zu Fuß auf den Weg und blieb drei Jahre:

Die Reise (…) wurde angetreten, zu Fuß, das Ränzel auf dem Rücken; wie verschieden das gegen jetziges Reisen! „time ist money“ war damals noch nicht erfunden, statt jagenden Dampfers-Eile ging noch ein gemächlicher Schritt durch die Welt. (S. 28)

Passagen wie diese bereiteten mir immer viel Vergnügen, schon damals hatten die Menschen offensichtlich das Empfinden, dass ihre Welt sich enorm beschleunigt hat. Etwas modernisiert könnte der Satz auch 150 Jahre später gesagt werden …

In Rom zeichnete Hessemer, der eine Ausbildung bei seinem Onkel, einem Architekten, hinter sich hatte, Architektur im Massen. Stapelweise brachte er Skizzenbücher nach Hause. Als sich ihm die Gelegenheit bot, nach Ägypten zu fahren, um dort Skizzen berühmter Bauwerke anzufertigen, griff er ohne längeres Nachdenken zu. Diese Zeit prägte sein Architekturverständnis nachhaltig und machte sich für den Rest seines Lebens sowohl in seinen architektonischen als auch seinen litararischen Entwürfen bemerkbar. In Briefen schildert er seinem Vater seine Erlebnisse, auf ihrer Grundlage, aber auch nach seinen Erzählungen, kann Emilie diese Lebensphase gut darstellen. Nach der Rückkehr mit dem Schiff nach Italien muss er erst einmal einen Monat in Quarantäne, dieser großzügige Umgang mit der Zeit ist heute auch kaum noch nachzuvollziehen.

Emilie schreibt über die Zeit der Brautwerbung und die Hochzeit, leider teilweise recht wenig über die Familie an sich, beispielsweise wann welches Kind geboren wurde. Die Namen der Kinder tauchen mal hier, mal dort auf, sind aber für den Leser schwer einzuordnen. Verständlich, Emilie Hessemer schrieb für ihre Kinder, diese Information war nicht nötig. Ich hätte hier (und an wenigen anderen Stellen) eine Anmerkung der Herausgebers oder eine Erwähnung in seinem Vorwort hilfreich gefunden. Auch hätte ich mir an (für mich) besonders spannenden Stellen, wie beispielsweise den Reiseerlebenissen, ausführlichere Auskünfte gewünscht – aber Emilie Hessemer konnte ja nicht ahnen, was die Nachwelt besonders gerne lesen möchte, schließlich war die Intention eine andere.

Über die architektonische Arbeit Hessemers erfahren wir wenig, auch die Politik wird nur am Rande erwähnt (schön hier einige spitze Bemerkungen), umso mehr aber über seine litarische Tätigkeit und seine Treffen mit gleichermaßen interessierten Freunden. Nicht nur über freudige Ereignisse wird berichtet, auch über Krankheiten, den Tod mehrer Kinder und schließlich Hessemers eigenen Tod. Die Schildderung wird immer wieder unterbrochen von Briefpassagen oder Gedichten, die zum jeweiligen Anlass verfasst wurden oder das Geschilderte gut illustiereren. Leider ist der Satz der Gedichte manchmal nicht gut gelungen, immer dann, wenn zwei Strophen nebeneinanderstehen. Einmal (S. 67) sind rechts sogar Buchstaben weggeschnitten. Das ist ein wenig schade, tut aber der Lesefreue wenig Abbruch. Zum Abschluss kommt die älteste Tochte zu Wort, die von der Mutter um Ergänzung gebeten worden war.

Ein interessanter Lebensbericht, der gute Einblicke in Leben und Werk Hessemers gewährt, aber auch viel über seine Zeit verrät. Wer sich für das 19. Jahrhundert interessiert, und hier besonders für Literatur oder Architektur, dem sei die Lektüre ans Herz gelegt.

Dirk G. W. von Grolman (Hg.): Aus dem Leben ihres Vaters Fritz Max Hessemer. Mit einem Vorwort und einer EInleitung des Herausgebers.Vindobona 2012. 164 Seiten, Euro 18,40, ISBN 978-3-850-40407-5

Ich danke Autor und Verlag für das Rezensionsexemplar.

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