Stefanie Zweig: Heimkehr in die Rothschildallee

Die Erinnerung kann wunderschön sein, aber auch so grausam …

Erinnerung ist das Hauptthema des Romans „Heimkehr in die Rothschildallee“. Oktober 1941: Einem Teil der Familie Sternberg ist die Flucht aus Deutschland gelungen, nach Holland, Palästina und Südafrika. Die Zurückgebliebenen werden nun wie Vieh zur Großmarkthalle getrieben. Victoria, an der Hand Sohn Salo, begleitet von Tochter Fanny sowie ihren Eltern Betsy und Johann Isidor. Am Straßenrand wartet Johann Isidors uneheliche Tochter Anna, greift sich während eines Tumults unbemerkt Fanny aus der Menge und flüchtet mit ihr.

Bei Kriegsende schwanken alle zwischen Hoffen und Bangen. Wird jemand überlebt haben? Es dauert Monate, bis die ersten Nachrichten kommen. Jahre, bis wieder Briefkontakt mit dem Ausland möglich ist. Die Freunde über die wenigen Wiedersehen ist groß. Aber gleichzeitig haben alle mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, mit Erinnerungen, die sie oft im unpassendsten Moment überwältigen.

Obwohl der Leser nicht im Detail erfährt, was den verschiedenen Familienmitgliedern widerfahren ist – oder vielleicht gerade deswegen? – gelingt es Zweig, die Ängste und Nöte der überlebenden Familienmitglieder begreifbar zu machen. In vielen kleinen Rückblicken erleben wir Szenen aus den guten Jahren, die zum Teil aus den vorangehenden Bänden bekannt sind, die die Protagonisten zunächst gar nicht zulassen wollen. Ebenso werden Momente der schlechten Jahre erinnert, die Deportation, das Auseinanderreißen der Familie, der Verlust, die Angst. Alle sind innerlich zerrissen. Warum haben gerade sie überlebt und nicht andere, vielleicht jüngere? Darf man jetzt überhaupt lachen, nach allem, was passiert ist?

Sehr gut geschildert auch die Reaktionen der ehemaligen Nachbarn bei Wiedersehen, der Umgang auf den Behörden, die Wandelbarkeit vieler Menschen, die sich nach Möglichkeit einen Persilschein besorgen, die Sturheit vieler anderer. Frankfurt nach dem Krieg, in vielen Bereichen komplett zerstört: So wie Zweig es hier beschreibt, mit langen Fußmärschen entlang zerbombter Häuserzeilen, kenne ich es auch aus Erzählungen meiner Mutter. Auch wenn man es schon häufig gelesen hat, zumindest mich beeindrucken die Darstellungen, wie die Menschen nach dem Krieg aus nichts etwas gemacht haben, immer wieder.

Ein sehr empfehlenswertes Buch, sehr beeindruckend, mit viel Stoff zum Mitleiden, Mittrauern, aber auch Mitfreuen und -lachen. Meiner Meinung nach der bisher beste Band aus der Rothschildallee-Reihe.

Stefanie Zweig: Heimkehr in die Rothschildallee. Heyne 2012, TB, 320 Seiten, Euro 8,9, ISBN 978-3-453-40916-39

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