Tom Bullough: Die Mechanik des Himmels

Rjasan in Russland ist 1867 die Endstation der Eisenbahnstrecke von Moskau in die Provinz. Konstantin Ziolkowski, genannt Kostja, und sein Bruder Ignat sind fasziniert von den großen Loks und können die verschiedenen Typen sogar am Klang unterscheiden. Sie sind ganz normale Jungs, die gerne mit ihren Freunden Schlittenfahren. Doch dann wird Kostja sehr krank: Scharlach. Wochenlang liegt er im Krankenhaus. Er überlebt, kann jedoch fast nichts mehr hören.

Der aufgeweckte Junge gibt nicht auf. Er lernt viel aus Büchern, einige Fächer am Gymnasium bleiben ihm jedoch unverständlich. So scheitert er, sehr zum Ärger seines Vaters, der denkt, er hätte nichts gelernt. Doch dann schafft Kostja es, seinen Vater von seinem Wissen und seinem Erfindungsreichtum auf naturwissenschaftlichem Gebiet zu überzeugen. Dieser schickt ihn mit einem Empfehlungsschreiben nach Moskau. Das Schreiben geht verloren und Konstantin muss sich alleine in der Bibliothek weiterbilden – eine damals offenbar durchaus übliche Studienmethode. Zum Glück gewinnt er die Sympathie des Chefkatalogisten Nikolaj Fedorowitsch Fedorow, der ihm nicht nur passende Fachbücher heraussucht, sondern eines Tages auch Jules Vernes „Die Reise von der Erde zum Mond” auf den Platz legt. Nach Schließung der Bibliothek setzen sich die ungleichen Männer zusammen und überlegen, wie realistisch die Schilderungen sind, wie man ein Raumfahrzeug konstruieren und ins Weltall schießen könnte. Eine Leidenschaft für sein ganzes weiteres Leben wird geboren …

Liebevoll schildert Bullough seinen (zunächst) kleinen Protagonisten. Schon nach weniges Sätzen war ich von seiner Beschreibung des mutigen kleinen Kostjas gefesselt. Ich litt mit ihm während der Krankheit, als er später die Hänseleien der anderen Jungen ertragen muss und durch abenteuerliche Mutproben beweisen will, dass er trotz fehlenden Gehörs kein Weichei ist. Trotz aller Schwierigkeiten der Familie hat er eine behütete Kindheit, weil seine Mutter immer an ihn glaubt.

Detailreich wird die Umgebung geschildert: russische Kleinstädte, tief in Schnee versunken oder im Frühling, wenn der Matsch an die Wände der Holzhäuser spritzt. Die gefrorenen Wälder und Felder, die Wölfe, die Eisschollen auf der Oka, die tanzenden Menschen im Sommer, aber auch die elende Unterkunft in Moskau und der Duft der Bücher in der Bibliothek. Diese Beschreibungen, mal sehr ausführlich, mal in gelegentlichen Nebensätzen versteckt, gerieten niemals langweilig, sondern ermöglichten mir, in die Welt Konstantin Ziolkowskis einzutauchen. Ich war schnell fasziniert von dem intelligenten Jungen, der sich selbst ein Hörrohr bastelt und genug Vorstellungskraft hat, sich beispielsweise auszumalen, was passieren würde, wenn man Menschen tatsächlich mit einer Art Raketenkugel ins All schießen würde.

Ziolkowskis Beschreibungen des Weltalls sind geschickt in die Handlung eingewoben, als Lehrer erzählt er den Schülern davon, ebenso wie später seiner kleinen Tochter von seinen komplizierten Vorstellungen vom Raktenbau. Diese Abschnitte waren für jemanden, der kein besonderes naturwissenschaftliches Interesse hat, teilweise etwas schwierig, aber im großen und ganzen verständlich.

Handlung und Stil des Buches haben mich gleichermaßen begeistert. Nur über einige wenige Formulierungen bin ich gestolpert, die ich etwas misslungen fand, aber das waren sehr wenige Stellen im Vergleich zu vielen wunderschönen Sätzen. Kritisieren könnte ich höchstens das frühe Ende, ich hätte gerne noch mehr erfahren, daher war ich sehr froh über die abschließende Anmerkung des Verfassers, in der berichtet wird, was aus Ziolkowski und seinen Nachfahren wurde.

Alle, die gerne Lebensgeschichten lesen, werden ebenso begeistert sein wie diejenigen, die sich für die Geschichte der Raumfahrt interessieren. Ach was: jeder, der gerne einen guten Roman liest, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen!

Tom Bullough: Die Mechanik des Himmels. C. H. Beck 2012, 229 Seiten, Euro 18,95, ISBN 978-3-406-62998-3.

Vielen Dank an den C. H. Beck-Verlag für das Rezensionsexemplar, das ich über Blogg dein Buch erhalten habe.

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