Andrea Levy: Eine englische Art von Glück

Kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges geht Hortenses Traum in Erfüllung: Die Jamaikanerin steigt in ein Schiff nach England, wo sie ihren Mann Gilbert wiedersehen wird. Er hat ein Zimmer im Hause von Queenie gemietet, die sich bei den Nachbarn unbeliebt gemacht hat, weil sie an Schwarze vermietet. Eigentlich gehört das Haus ihrem Mann Bernard, der aus dem Krieg nicht zurückgekommen ist, obwohl die Militärverwaltung sagt, dass er ordnungsgemäß entlassen wurde.

Diese vier Personen berichten aus ihrem Leben, mal aus der Gegenwart (1948), mal im Rückblick auf die vergangenen Jahre. So lernt der Leser vier interessante Menschen mit ihren Lebensgeschichten kennnen: Hortense, der wegen ihres weißen Vaters eine grandiose Zukunft vorhergesagt wird, die hart arbeitet und Lehrerin wird, aber immer nur von einem träumt: einem Leben in England. Um dieses Ziel zu erreichen, greift sie zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Auch Gilbert hat Träume, er würde gerne Jura studieren. Zunächst einmal wird er jedoch Soldat und muss feststellen, dass man als Schwarzer auch dann nicht studieren kann, wenn man sein Leben für England riskiert hat. Zunächst schienen mir die Kapitel über die beiden Jamaikaner interessanter zu sein als die über die beiden Engländer, doch schnell zog mich die temperamentvolle und unkonventionelle Metzgerstochter Queenie in ihren Bann. Sie versucht, zunächst die Fesseln ihres Alltags loszuwerden, später ihren Ehemann. Anfeindungen wegen ihres Umgangs mit Schwarzen versucht sie zu ignorieren. Ihr Mann Bernard ist wirklich eine farblose Persönlichkeit, ein Buchhalter in allem. Erst während seines Kriegseinsatzes in Indien hat er Spannenderes zu berichten und entwickelt sich. Eines haben alle vier gemein: Sie suchen nach ihrem Glück. Was sie darunter verstehen, ist jedoch höchst unterschiedlich.

Der Roman ist wunderbar geschrieben und lässt sich sehr angenehm lesen. Ich bin schnell in den vier Lebensgeschichten versunken und habe es zunächst immer bedauert, wenn zum nächsten Protagonisten gewechselt wurde, bis auch sein Bericht mich wieder fesselte. Bernards Passagen fallen zwar gegenüber denen der anderen etwas ab, Levy gelingt es aber, auch ihn in in seiner Blässe realistisch zu schildern.

Levy betrachtet ein Stück Geschichte, das mir so nicht bekannt war. Beispielsweise war mir bisher unbekannt, wie die schwarzen Soldaten in der britischen Armee behandelt wurden – keinesfalls gleichberechtigt, aber immerhin zusammen mit den weißen Kameraden –, wie dagegen die Vereinigten Staaten auf  Trennung der Rassen achteten. Die Träume der vier Protagonisten sind zum größten Teil universell: Liebe, Familie, Erfolg, Wohlstand, gesellschaftliches Ansehen. Doch die Jamaikaner müssen in England erfahren, dass sie wegen ihrer Hautfarbe als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, dass ihre Ausbildung nichts zählt, dass die Briten nicht einmal wissen, wo Jamaika liegt, während sie doch alle Städte und Flüsse des „Mutterlandes“ lernen mussten. Auch Queenie muss sich viele Anfeindungen wegen ihres „schlechten Umgangs“ anhören. Sehr eindrücklich werden die Gefühle geschildert, ebenso wie die völlig falschen und deshalb enttäuschten Erwartungen. Das Ende ist recht verblüffend, einerseits voller Hoffnung, andererseits vielleicht ein wenig unrealistisch.

Jeder der vier Protagonisten zeichnet sich durch seine ganz spezielle Sprache aus. Wie der Übersetzer, Bernhard Robben, im Nachwort erläutert, war es nicht möglich, dies ohne Verluste ins Deutsche zu übertragen, ich finde dennoch, dass es recht gut gelungen ist.

Ich habe jede Seite dieses Buches genossen!

Andrea Levy: Eine englische Art von Glück. Suhrkamp 2008. 564 Seiten, Euro 9,90, ISBN 978-3-518-46023-8. Übersetzer: Bernhard Robben.
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