Was ist Toleranz? – Ein Nachklapp zum Tanzverbot an Karfreitag

An Karfreitag waren wir mit dem Auto unterwegs zu einem Besuch, als ich auf die Idee kam, mal einen Blick in meine Twitter-Timeline zu werfen. Ich hatte nicht bedacht, dass es dort an Karfreitag unweigerlich um das Tanzverbot gehen würde. Ich überlegt kurz, ob ich einfach wieder abschalten sollte, weil eine Diskussion sich vermutlich wie jedes Jahr im Kreise drehen würde, entschloss mich dann aber doch zu einer Bemerkung. Ich twitterte

Das ganze Jahr über wird zur Toleranz gegenüber Minderheiten aufgerufen. Aber mal einen Tag die Religion der Mehrheit zu respektieren?

Sofort wurde mir entgegnet, dass Christen nicht in der Mehrheit seien, zumindest in Schleswig-Holstein. Ich nahm an, dass es bundesweit der Fall ist, konnte das unterwegs aber nicht überprüfen (die Ladezeiten von Internetseiten sind bei meinem Smartphone unterirdisch). Hier ist die Statistik, die ich im Hinterkopf hatte. Sie besagt, dass etwa zwei Drittel der Deutschen Christen sind. Nach der Karte auf der Wikipediaseite „Religionen in Deutschland“ sind übrigens auch mehr als die Hälfte der Schleswig-Holsteiner Protestanten, dazu kommen noch einige Katholiken. In der Unterzahl sind die Christen demnach in Hamburg und allen östlichen Bundesländern.

Die Diskussion ging dann etwas hin und her, ich möchte das hier nicht im Detail nachvollziehen, denn mir geht es in diesem Artikel gar nicht so sehr um das Tanzverbot an sich, sondern um etwas Allgemeineres.

Wir kamen an, ich verabschiedete mich aus der Diskussion und war über die Osterfeiertage nicht mehr bei Twitter. Erst am Dienstag sah ich, dass ich natürlich noch Reaktionen bekommen hatte. Eine davon möchte ich herausgreifen:

Indem ich Deinen Glauben respektiere werde ICH eingeschränkt? Das kann ja nicht Dein Ernst sein!

Darauf antworte ich mit einer Gegenfrage: Was bedeutet Toleranz für euch? Laut Wikipedia ist Toleranz

ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Es liegt in der Natur der Sache begründet, dass es manchmal auf zu Einschränkungen bei anderen führt, wenn man fremde Überzeugungen, Handlungsweise und Sitten gelten lässt. Unser ganzes Zusammenleben funktioniert nur deshalb, weil wir stets und ständig gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen. Ich kann nicht jede Nacht bei lauter Musik Partys feiern, wenn dadurch Nachbarn am Schlafen gehindert werden. Ist es aber ausnahmsweise mal laut, weil jemand eine Hochzeit oder einen runden Geburtstag feiert, werden die Nachbarn die Störung bis zu einem gewissen Punkt hinnehmen. So sollte es jedenfalls in einer funktionierenden Gemeinschaft sein. Lade ich einen Muslim zu einer Feier ein (oder, um ein nichtreligöses Beispiel zu nehmen, einen Vegetarier) werde ich respektieren, dass dieser gewisse Speisen nicht isst und dafür sorgen, dass es auch etwas gibt, was er essen kann.

Toleranz ist also möglicherweise mit ein wenig Einschränkung verbunden. Es ist leicht zu sagen, dass man etwas toleriert, was einen gar nicht persönlich betrifft, die Kultur der Aborigines in Australien beispielswiese. Wirkliche Toleranz zeigt sich meines Erachtens erst dann, wenn ich auch bereit bin, bei mir persönlich Abstriche zu machen. Wenn ich zum Beispiel akzeptiere, dass es bei den Nachbarn im Ramadan abends laut wird, weil dann in großem Kreis das Fastenbrechen gefeiert wird. Auch wenn es mich tatsächlich nerven sollte.

Die meisten Feiertage in Deutschland sind kirchlich. Jeder dieser Feiertage schränkt gewisse Rechte ein. Üblicherweise sind die Geschäfte geschlossen, was in anderen Ländern nicht unbedingt der Fall ist. Ich habe noch nie gehört, dass sich jemand darüber beschwert hat, dass er am Ostermontag oder an Himmelfahrt keine Shoppingtour machen kann. Die meisten Leute nehmen das billigend dafür in Kauf, dass sie einen Tag frei haben, ob sie nun an die Auferstehung oder Himmelfahrt glauben oder nicht. Das kommt übers Jahr an recht vielen Tagen vor, in den Bundesländern gibt es unterschiedlich viele religiöse Feiertage. Worin liegt also, im Vergleich dazu, die große Einschränkung, 24 Stunden im Jahr wegen eines Tanzverbotes nicht in die Disco gehen zu können? Wohlgemerkt, private Feiern sind meines Wissens nicht verboten, es handelt sich nur um öffentliche Veranstaltungen. Ich denke, bei dieser Argumentation geht es nur ums Prinzip. Und damit sind wir wieder am Anfang angekommen: Ich würde mir WÜNSCHEN, dass die Nichtchristen einfach akzeptieren, dass Tanzen am Karfreitag die religösen Gefühle vieler Menschen in diesem Land verletzt.

In der Diskussion wurde mir vorgeworfen, ich würde es mir verdammt leicht machen, weil ich einfach erwarte, dass die Atheisten sich den Regeln meiner Religion unterwerfen. Da das Tanzverbot nichts ist, was das Leben ungebührlich einschränkt – ja! Anders wäre das, wenn es an diesem Tag verboten wäre, das Haus zu verlassen, zu demonstrieren, Kranke zu behandeln, wenn also Grundrechte eingeschränkt würden – dann wäre ich sofort dafür, das abzuschaffen. Das ist aber nicht der Fall.

Jemand schrieb auch:

Zur Religionsfreiheit sollte auch gehören, Religion nicht achten zu müssen, …

So kann man natürlich argumentieren. In den meisten Situationen ist das in Deutschland auch so. Niemand wird gezwungen, einen Gottesdienst zu besuchen, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, an einer Prozession teilzunehmen. Allerdings kann es passieren, dass wegen einer Prozession eine Straße gesperrt ist, sodass man einen anderen Weg nehmen muss oder als Anwohner einige Zeit nicht mit dem Auto aus seiner Garage fahren kann. Oder dass eben die Disco zu ist bzw. nicht getanzt werden darf.

Jemand berichtete kürzlich auf Twitter, dass in der Schule seines Kindes atheistische Kinder gezwungen werden, am Religionsunterricht teilzunehmen. Das ist etwas, was ich für unzumutbar halte. Das Tanzverbot ist es nicht.

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