Waris Dirie: Safa. Die Rettung der kleinen Wüstenblume

Waris Dirie wurde durch ihr Buch Wüstenblume und den darauf basierenden Film bekannt. Sie beschreibt ihre abentuerliche Lebensgeschichte, in deren Verlauf aus dem kleinen Nomadenmädchen ein bekanntes Modell wurde. Ausführlich geht sie dabei auf ein Trauma ein, das sie als Kind erlitten hat: Sie wurde grausam beschnitten. Heute engagiert sie sich weltweit gegen die Beschneidung von Frauen (Female Genital Mutilation, FGM).

Damit das kleine, damals dreijährige Mädchen Safa, das im Film Wüstenblume ihre Rolle spielt, nicht beschnitten wird, hatte das Filmteam einen Vertrag mit den Eltern abgeschlossen: Safa darf nicht beschnitten werden. Im Gegenzug dafür werden der Schulbesuch bezahlt und die Familie bekommt jeden Monat eine Lieferung von Wasser und Lebensmitteln. Eines Tages, im Januar 2013, erhält Waris Dirie einen Brief von der kleinen Safa. Sie berichtet, dass sie gerne zur Schule geht, aber auch, dass sie von anderen Kindern gehänselt wird, weil sie unrein sei. Es klingt durch, dass ihre Eltern nicht sehr glücklich darüber sind, eine unbeschnittene Tochter zu haben.

Mit diesem Brief beginnt Safa. Dirie beschreibt das mulmige Gefühl, das sie beim Lesen des Briefes überkommt. Sie hat Angst, dass Safa mittlerweile beschnitten worden sein könnte. Obwohl regelmäßig Untersuchungen bei einer von ihr beauftragten Kinderärztin stattfinden, möchte sie sich selbst überzeugen, dass Safa unversehrt ist. Zusammen mit ihrer engen Mitarbeiterin Joanna steigt sie nach dem Ende der Konferenz, die sie gerade besucht, in das nächste Flugzeug nach Dschibuti. Dort kommt es zur Begegnung mit Safa und ihrer Familie, aber auch der kleine Junge, der ihren Bruder gespielt hat, wird besucht. Mit seiner Familie wurde ein ähnlicher Vertrag abgeschlossen, sodass seine kleinen Schwestern ebenfalls nicht beschnitten sind. Seiner großen Schwester Inab blieb dieses Schicksal jedoch nicht erspart.

Dirie berichtet von den Tagen in Afrika, an denen sie erfahren muss, wie schwierig es ist, die alten Traditionen aufzubrechen. Safas Eltern hadern damit, ihre Tochter nicht beschneiden zu dürfen, aber sie sind auf die Lebensmittellieferungen angewiesen. Safas Vater versucht, weiteres Geld von Waris Dirie und Joanna zu bekommen. Schließlich kommen alle überein, dass Safa und ihr Vater sowie Inab nach Europa reisen dürfen. Inab möchte gerne in Diries Desert Flower Foundation arbeiten und soll deshalb geschult werden, Safas Vater möchte seine Tochter nicht gerne alleine reisen lassen und, wie sich herausstellt, in Europa bleiben. Die Zeit in Europa ist ein Kulturschock für alle, aber alle raufen sich zusammen lernen viel. Schließlich steht für Dirie fest, dass sie viele weitere Mädchen vor FGM bewahren möchte. Sie gründet ein Patenschaftprojekt. Ähnlich wie mit Safas Familie wird ein Vertrag geschlossen. Die Kosten für die Schulbildung des Mädchens werden übernommen, die Familien erhalten Lebensmittel. Im Gegenzug müssen sie das Mädchen regelmäßig untersuchen lassen und und Schulungen besuchen.

Im Rückblick werden außerdem Phasen der Dreharbeiten, beispielsweise die Auswahl Schauspieler, und wichtige Momente aus Diries Leben geschildert.

Safa_Waris Waris Dirie mit Safa

Safa ist ein sehr berührendes Buch. Die Beklemmung und Sorge, die Dirie beim Lesen des Briefes empfindet, überträgt sich sofort auf den Leser. Die Beschreibung der Afrikareise zeigt sehr deutlich, wie zwei Welten aufeinanderprallen: Waris luxuriöses Hotel und die armseligen Hütten der Familien der Filmkinder, das Staunen Safas über für uns normale Dinge wie einen Aufzug. Die Schilderung, warum die Familien den alten Traditionen nachhängen, wie ihr tägliches Leben verläuft und welche Probleme sich daraus ergeben, unbeschnittene Töchter zu haben, werden nachvollziehbar geschildert. Als Safa, ihr Vater und Inab nach Europa kommen (zunächst nach Paris, später nach Österreich) zeigt sich, dass die drei zunächst völlig überfordert sind von dem, was sie sehen und erleben. Safas Vater möchte gar nicht mehr zurück, sondern seine ganze Familie nachholen. In dieser Zeit stellt sich auch heraus, dass er den Vertrag nicht etwa Safas wegen aufrecht erhält, sondern um seines kranken Sohnes willen. Mit der Zeit kommen sie jedoch immer besser zurecht und die Schulungen können beginnen. Beschneidung ist in Afrika Frauensache. Die Männer wollen zwar beschnittene Frauen und Töchter haben, aber um das Wie kümmern sie sich nicht. So wirken die Bilder und Informationen auf Safas Vater wie ein Schock und er beginnt endlich zu verstehen, was für ein Unrecht diese Tradition ist.

Vor allem Safa und Inab sind mir während der Lektüre ans Herz gewachsen. Safa ist ein lebensfrohes, sympathisches Mädchen, Inab eine selbstbewusste und ehrgeizige junge Frau, die für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen Verbesserungen erreichen möchte.

Das ganze Buch ist ein feuriges Plädoyer gegen Beschneidung, liest sich aber dennoch nicht wie eine politische Kampfschrift, sondern ist spannend und informativ. Es hat mich noch nach der Lektüre lange beschäftigt.  Aber auch ohne derartige Absichten ist die Lektüre absolut empfehlenswert, weil sie es schafft, aufschlussreiche Einblicke in die Mentalität der Somalier zu vermitteln und zu zeigen, wie engagiert Dirie für ihre Sache eintritt. Besonders beeindruckend fand ich eine Schilderung am Anfang, als sie auf einer Konferenz sprechen soll. Sie regt sich darüber auf, dass wieder und wieder Konferenzen abgehalten werden, auf denen sich alle einig sind, dass etwas gegen die Beschneidungspraxis getan werden muss. Nur leider folgen den Worten selten Taten – und genau das wirft Dirie den Konferenzteilnehmern vor.

Der Knaur-Verlag hat mir ein E-Mail-Interview mit Waris Dirie vermittelt, in dem ich sie zu dem ihrem Engagement, dem Patenschaftsprogramm und ihrem neuen Krankenhaus, dem Desert Flower Center, befragen konnte: Lest hier.

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Waris Dirie: Safa. Die Rettung der kleinen Wüstenblume. Knaur 2014. 320 Seiten, Euro 19,99, ISBN 978-3426655344. Aufgezeichnet von Daniela Schimke und Sophie Gigele.

Vielen Dank an den Knaur-Verlag für das Rezensionsexemplar und die Möglichkeit, das Interview zu führen!

Safa beim Knaur-Verlag – bei Amazon – zur Desert Flower Foundation

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