Charles C. Mann: Kolumbus’ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen

… die Reise des Kolumbus [brachte] nicht die Entdeckung, sondern die Erschaffung einer neuen Welt. (S. 15)

Es ist bekannt, dass die europäischen Eroberer Tiere und Pflanzen nach Amerika brachten, ungeplant auch Viren und Insekten und umgekehrt viele Nutzpflanzen nach Europa. Dieser „kolumbische Austausch“ hatte jedoch viel weitreichendere und weltumfassendere Veränderungen zufolge, als einem zunächst bewusst ist. Kleines konnte da eine sehr große Wirkung haben, wie Mann eindrücklich zeigt.

Im ersten großen Abschnitt, Atlantikreisen, untersucht Mann die wichtigsten Auswirkungen auf den amerikanischen Kontinent. Die Europäer brachten Rinder, Schafe und Pferde, Zuckerrohr, Weizen, Bananen und Kaffee, also auch Pflanzen, die ursprünglich aus Neu-Guinea, dem Nahen Osten oder Afrika stammten. Mit an Bord waren blinde Passagiere wie Regenwürmer, Stechmücken, Kakerlaken, Bienen, Löwenzahn, afrikanische Gräser (im Streu der Sklavenschiffe), Ratten usw. Dies hatte weiter reichende Auswirkungen, als man auf den ersten Blick bedenkt: Rinder und Schafe fraßen die einheimische Urvegetation, die afrikanischen Gräser erstickten die einheimischen Gewächse. Gräser wachsen von der Basis und überstehen eine Beweidung, andere (die einheimischen) Arten nicht.

Die einheimischen Bäume benötigten regelmäßige Brände zur Vermehrung. Die Europäer rodeten das Unterholz, der eingeschleppte Regenwurm lockerte die Erde und ermöglichte es mitgebrachten europäischen Arten zu gedeihen. Nach und nach (und meistenteils völlig ungeplant) wurde so Nordamerika in ein ökologisches Abbild von Europa verwandelt, die Europäer konnten diese neugeschaffenen Landschaften besser nutzen als die Einheimischen.

Die Veränderungen resultieren in einem hohem Maße aus mikroskopisch kleinen Importen: Krankheiten. Europäische Krankheiten dezimierten die Indianer. Die mitgebrachten Moskitos hatten Malaria und Gelbfieber im Gepäck, woran in vielen Regionen auch die Europäer in Massen starben. Dies wiederum förderte die Sklavenhaltung, da die Afrikaner die diese Krankheiten oft schon im Kinderalter überstanden hatten.

Im zweiten großen Abschnitt, Pazifikreisen, geht Mann auf den viel weniger beachteten Austausch zwischen Amerika und Asien ein. Die Spanier erreichten die Philippinen und gründeten dort Manila. Dort trafen sie auf chinesische Händler, die sehr an dem amerikanischen Silber interessiert waren. Der Galeonenhandel begann. Dadurch gelangten nicht nur chinesische Produkte nach Amerika und Europa, sondern auch amerikanische Nutzpflanzen wie Tabak, Mais, Süßkartoffeln, Erdnüsse, Paprika, Ananas, Maniok nach China – mit weitreichenden Folgen. Reis konnte nur in Flusstälern angebaut werden und auch Weizen ist auf reiche Böden und ausreichende Feuchtigkeit angewiesen. Süßkartoffeln und Mais dagegen wachsen auch auf kargeren, trockeneren Böden. Bauern konnten nun in bis dahin dünn besiedelte Gebiete ziehen. Die Grundlage für das chinesische Bevölkerungswachstum war gelegt, heute ist das Land der größte Süßkartoffelproduzent der Erde. Allerdings rodeten die Bauern im Hochland bewaldete Hänge, Erosion setzte ein, es kam zu Überschwemmungen, bei denen in den Tälern viele Menschen ihr Leben verloren und viele Reispflanzen vernichtet wurden.

Abschnitt 3, Europa in der Welt, befasst sich zunächst mit der Rolle des kolumbianischen Austauschs für die landwirtschaftliche Revolution des 18. Jahrhunderts, vor allem durch die Einführung der Kartoffeln und die Einfuhr von Guano als Düngemittel. Auch hier gab es blinde Passagiere, die Krautfäule und der Kartoffelkäfer. Was zunächst für eine deutliche Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung sorgte, führte in der Folge zur schlimmsten Hungernot in der Geschichte Europas. Als nächstes betrachtet Mann die Folgen für die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts, die ohne Kautschuk nicht denkbar gewesen wäre. Auch heute noch lässt sich Kautschuk in vielen Bereichen nicht durch synthetische Produkte ersetzen. Kautschukplantagen haben vielerorts in Südostasien die Landschaft massiv verändert, die Krankheit, die Plantagen in kürzester Zeit vernichten kann, ist bisher jedoch noch nicht aus Amerika nachgekommen. Passiert das, könnte ein Einbruch der Weltwirtschaft die Folge sein.

Abschnitt 4 betrachtet die Rolle von Afrika in der Welt. Mag es auf den ersten Blick so scheinen, als wäre Afrika nur durch den Sklavenhandel beteiligt gewesen, so täuscht das. So führte die Interaktion von Afrikanern mit Indianern zu gemeinsamen Widerstand gegen die Europäer, die Folgen davon sind vielerorts noch zu sehen. In Brasilien beispielsweise sind die von entlaufenen Sklaven gegründeten Siedlungen erst kürzlich anerkannt worden, wodurch die Menschen endlich Recht am von ihnen bewohnten Land haben.

Dies ist ein wissenschaftliches Buch mit Fußnoten (wobei die meisten Anmerkungen in den Anhang verbannt wurden) und einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Da liegt die Befürchtung nahe, dass man es mit einem trockenen Text zu tun hat, durch den man sich mehr oder weniger mühsam kämpfen muss. Das ist jedoch nur an sehr wenigen Stellen der Fall, die man schnell überfliegen kann. Mann schreibt locker und unterhaltsam und seine Schilderungen lesen sich manchmal wie ein Roman. Er schafft es, geschichtliche Ereignisse geschickt zusammenzufassen, bindet immer wieder nette oder lustige Anekdoten ein und recht häufig blitzt auch Ironie durch. Nachdem ich mich eingelesen hatte, fiel es mir schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. So habe ich lange kein Sachbuch mehr verschlungen!

Mann erzählt die Geschichte mehrerer Kontinente und viele „Geschichten“ von Waren, die die Welt veränderten: Tabak, Kautschuk, Kartoffeln, Guano, Silber, Zucker und der Sklavenhandel werden genauer betrachtet. Er schafft es, die Unmenge an Informationen gut lesbar aufzubereiten und verblüffte mich immer wieder durch interessante Fakten, die ich so nicht erwartet hätte. Beieindruckend sind jedoch die Verknüfungen, die er vornimmt und die deutlich machen, wie sehr unsere Weltwirtschaft nicht nur heute verbunden ist, sondern dass die Welt schon seit Kolumbus globalisiert ist.

Einige Karten und Schaubilder dienen zur Illustration, die ich nicht optimal finde. Bei einem Buch dieses Umfangs hätten wohl auch sie etwas größer ausfallen können, damit der Leser nicht mit Legenden in (geschätzter) Schriftgröße 6 pt kämpfen muss. Auch sprachlich bin ich an manchen Stellen gestolpert, an denen die Übersetzung nicht optimal war (z. B. Archibischof), gerade gegen Ende hin fielen mir etliche Tippfehler auf. Jedoch kam das nicht so häufig vor, dass es mich ernsthaft aus dem Lesefluss gebracht hat.

Wie sehr sich die Welt verändert hat, zeigt ein philippinisches Lied, das die „traditionellen “ Gärten preist. Darin heißt es:

Yambohne und Aubergine, Flügelbohne und Erdnuss,
Spargelbohne, Limabohne, Helmbohne,
Wachskürbis, Schwammkürbis, Flaschenkürbis oder Riesenkürbis.
Außerdem gibt es noch Rettich, Senf,
Zwiebel, Tomate, Knoblauch und Ingwer!
Und allüberall sind Sesamsamen. (Seite 608)

Diese traditionellen Gartenpflanzen kommen ursprünglich aus Afrika, Amerika oder Ostasien, keine einzige war auf den Philippinen heimisch.

Ein hervorragendes Buch, das mich rundum begeistert hat und das ich gerne jedem weiterempfehle, der sich für Geschichte, Wirtschaft, Lateinamerika, Ökologie oder Biologie interessiert. Oder für eine gute Erklärung, warum unsere Welt so ist, wie sie ist.

Cover_Mann_KolumbusErbe

Charles C. Mann: Kolumbus’ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Rowohlt 2013.  816 Seiten, Euro 34,95, ISBN 978-3-498-04524-1.

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