Kim Thúy: Der Geschmack der Sehnsucht

Dies ist eines der beiden Bücher, die ich am #Indiebookday gekauft habe. Mir sagte weder der Name der Autorin noch der Titel etwas, als ich durch die Verlagsseite stöberte, sprach mich zuerst das Cover an, dann gefiel mir der Klappentext.

Ich muss sagen, mein Gespür hat mich nicht getrogen, ich habe ein hübsches Kleinod entdeckt. „Klein“ trifft allerdings tatsächlich zu, das Buch hat nur knapp 150 Seiten und ist nicht größer als ein Taschenbuch. Aber das macht nichts, denn der Inhalt lohnt sich auf jeden Fall.

Die Ich-Erzählerin hat gleich drei Mütter: Die erste brachte sie auf die Welt und setzte sie in einem Gemüsegarten aus. Die zweite, eine Nonne, zog sich von den Menschen zurück, um Gebete zu rezitieren. Erst die dritte, eine Lehrerin, behielt das Mädchen bei sich und zog es auf.

Das Mädchen berichtet von seiner Kindheit, aber sehr häufig reicht der Blick noch viel weiter zurück, in die Kindheit ihrer Mutter. Die Geschichte spielt zunächst in Vietnam. Die Mutter ist Tochter eines Richters und verlebt nach dem Tod der Mutter eine nicht sehr glückliche Kindheit unter der Fuchtel einer Stiefmutter. Dennoch lebt sie wohlhabend und gut, bis sie eines Tages auf einer Fähre zwischen die Fronten von Regierung und Widerstand gerät, ihre Papiere über Bord wirft und ihre Identität aufgeben muss. Sie lebt fortan ein einfaches Leben in einer Strohhütte.

Das Leben der Tochter ist ebenfalls einfach, aber sie ist zufrieden. Eines Tages bringt das Erscheinen eines Exilvietnamesen, der auf der Suche nach einer Frau ist, ihr gleichförmiges Leben durcheinander. Er heiratet sie und nimmt sie mit nach Montreal, wo sie in seinem Lokal kocht und es zu einerm Sehnsuchtsorts für alle dort lebenden Vietnamesen macht. Auch dort plätschert ihr Leben in einem ruhigen Fluss dahin, bis ihre Küche so bekannt wird, dass sie eine Einladung nach Paris erhält. Dort lernt sie Luc kennen …

„Der Geschmack der Sehnsucht“ ist ein atmosphärisch sehr dichtes Buch. Thúy beschreibt mit einem genauen Blick auf kleine Details viele Episoden im Leben der Ich-Erzählerin, die zusammen ein Panoramabild ihres Lebens  und des Lebens ihrer Mutter erzeugen. Jahreszahlen, harte Fakten spielen keine Rolle, der Leser erfährt keine Hintergründe über den Krieg und muss sich manches zusammenreimen. Und doch erfährt er, wie es der Mutter erging, beispielhaft für viele andere. Beide Frauen führen ein sehr zurückgenommenes Leben, in dem immer das Wohlergehen anderer über ihre eigenen Interessen gestellt wird. Die Erzählerin erlebt mit ihrem Mann keine große Liebe, aber die Ehe funktioniert, sie hat zwei Kinder, ist finanziell abgesichert, alles scheint gut zu sein. Erst als sie Luc kennenlernt erkennt sie, dass sie zu viel tieferen Gefühlen fähig ist, dass alles ganz anders sein könnte. Doch was wird ihr am Ende wichtiger sein?

Das Buch ist nicht in Kapitel eingeteilt, sondern in kurze Abschnitte, die mal eine halbe Seite lang sind, ein anderes Mal zwei Seiten. Am Rand stehen in Türkis vietnamesiche Vokabeln mit ihrer deutschen Übersetzung, passend zum Stoff des jeweiligen Abschnitts. Überhaupt spielt Sprache eine große Rolle, nicht nur das Vietnamesiche, sondern auch das Franzöische, die Sprache, die die Mutter als Kind noch gelernt und in Fragmenten an ihre Tochter weitergegeben hat, und in geringerem Umfang das Englische. Diese Betrachtungen fand ich besonders interessant. Welchen Einfluss hat die Sprache auf das Leben? So fragte sich die Mutter als Kind, ob ihre Stiefmutter lieber wäre, wenn sie eine nettere Bezeichnung hätte, wie im Französischen. Die wörtliche Übersetzung von Stiefmutter lautet im Vietnameischen „Kalte Mutter“, im Französsischen dagegen „Schöne Mutter“. Vergleichweise viel Raum wird der Zubereitung von Speisen gewidmet. Schon das kleine Mädchen lernt, wie es Kokosmilch machen muss oder welche Bananen sich dazu eignen, vereist zu werden. Dieses Wissen kommt ihr später zugute. Für mich war das Interessante daran vor allem der Einblick in die Kultur, der sich damit verband, in die vielen kleinen Gewohnheiten, die ein Leben eben ausmachen.

Sprachbetrachtungen, Kulturbetrachtungen, die Biografien zweier Frauen, dies alles ist verwoben zu einer kleinen, aber feinen Erzählung. Dies wird nicht das letzte Buch der Autorin sein, das ich gelesen habe.

Lesenswert!

Cover_Thuy_GeschmackSehnsucht

Kim Thúy: Der Geschmack der Sehnsucht. Aus dem Französischen von Andrea Alvermann und Brigitte Große. Antje Kunstmann 2014. 143 Seiten, Euro 16,95, ISBN 978-3-88897-928-6.

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