Reginald Grünenberg: Die Entdeckung des Ostpols

Der Würzburger Philipp Franz von Siebold träumte schon in seiner Jugend davon, fremde Länder zu bereisen wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt und sich als Wissenschaftler einen Namen zu machen. Wie sein Vater studiert er zunächst Medizin und machte sich mit seinen Fähigkeiten bereits als junger Mann einen Namen. Nach einigen Jahren Tätigkeit in seiner eigenen Praxis bewarb er sich beim niederländischen Kolonialministerium als Militäararzt und wurde angenommen, wobei ihm der Ruf seiner Familie sehr behilflich war. So machte er sich auf die Seereise nach Java. Er hoffte, von dort aus eines Tages nach Japan reisen zu können. Seine Faszination für das für Europäer fast gänzlich unzugängliche und demzufolge noch unerforschte Reich war bereits während seines Studiums geweckt worden.

Siebold hatte Glück, bereits kurz nach seiner Ankunft auf Java durfte er weiter nach Japan reisen. Die Niederlande waren die einzige Nation, die zu dieser Zeit, 1823, mit Japan Handel treiben durfte. Allerdings durften die Niederländer das Festland so gut wie nie betreten, sie lebten auf der Insel Dejima in der Bucht von Nagasaki. Als Arzt bekam Siebold jedoch immer öfter Zugang zur Stadt und fand viele Gönner, die sich dafür einsetzen, dass er mehr Freiheiten erhielt. So konnte er Forschungen über Kultur, Flora, Fauna und Geografie des Landes anstellen. Er heiratete sogar eine Japanerin und erhielt die Erlaubnis, auf dem Festland zu leben. Doch alle Zugeständnisse waren ihm nie genug. Angetrieben von seiner enormen Wissbegier übertrat er ständig die für ihn festgesetzten Regeln. Vor allem war er sehr darum bemüht, Landkarten anzufertigen oder zu erhalten, was streng verboten war, weil Japan sich auf diese Weise vor den anderen Nationen abschotten konnte. Damit brachte er nicht nur sein Leben in Gefahr, sondern auch das vieler Freunde und Unterstützer und gefährdete den Auftrag der niederländischen Handelsmission. Eines Tages wurden all seine Vergehen entdeckt …

„Die Entdeckung des Ostpols“ ist ein Sammelband, der die drei Bände „Shiboruto“ (das ist Siebolds japanischer Name), „Geheime Landkarten“ und „Der Weg in den Krieg“ umfasst. Wie der Autor im Vorwort erklärt, basiere das Buch weitgehend auf wahren Begebenheiten, der fiktive Anteil sei äußerst gering, weshalb Grünenberg das Buch als „historischen Tatsachenroman“ bezeichnet. In Japan ist Siebold ebenso bekannt wie Humboldt in Südamerika. Er brachte medizinische Erkenntnisse und Gerätschaften der Europäer nach Japan, viel Wissen über das geheimnissvolle abgeschottet Land nach Europa und bereitete die Öffnung des Landes vor.

Das Leben Siebolds verlief sehr außergewöhnlich und abwechslungsreich, sodass der größte Teil des Buches sehr spannend ist. Nach dem etwas zähen Eingangskapitel folgt die Schilderung von Siebolds Kindheit und Studentenjahren – noch nicht so spektakulär, aber durchaus interessant – bevor es mit seiner Reise nach Java richtig spannend wird. Ich habe es sehr genossen, in die Handlung einzutauchen und alles um mich herum zu vergessen. Ich habe mich bisher kaum mit Japan und seiner Kultur beschäftigt, so dass ich die Schilderungen sehr interessant bis faszinierend und, ganz nebenbei, oft auch lehrreich fand. Nur die medizinischen Schilderungen waren mir an der einen oder anderen Stelle etwas detailreich. Es ist mir vollkommen unklar, warum ein Forscher wie Siebold nicht bekannter ist. Seine Erlebnisse mit seiner Frau, seinem Freund Mendelsohn und den vielen japanischen Freunden und Kollegen sind sehr bildhaft dargestellt, die Personen werden vor dem Leser lebendig. Hier wird nicht nur ein Forscherleben detailreich präsentiert, Grünenberg lässt eine ganze Epoche vor den Augen des Lesers auferstehen. Dazu tragen auch die schönen zeitgenössischen Illustrationen bei.

Meine Meinung zu Siebolds Persönlichkeit ist ein wenig zwiegespalten. Einerseits bewundert ich seinen Mut, seine Neugier, seinen nie erlöschenden Foschergeist, anderseits stößt mich seine gelegentliche Rücksichtslosigkeit und mangelnde Voraussicht ab.

Besonders gut gefallen haben mir Band 1 und 2, weniger Band 3, was jedoch nicht an den Fähigkeiten des Autors, sondern am Verlauf von Siebolds Leben lag. Seine Jahre in Europa, in denen er seine Forschungen auswertete und bekanntmachte, waren nun einmal weniger spannend als die Jahre in Japan. Zum Glück bekam er nach vielen Jahren in Europa noch einmal die Möglichkeit, in das Land seiner Träume zurückzukehren.

Ein nicht unbeachtlicher Teil des dritten Bandes widmet sich einem „Schnelldurchlauf“ durch die japanische Geschichte bis zur heutigen Zeit. Der Fokus wird dabei auf einzelne unzusammenhängende Ereignisse gelegt, die letztlich, direkt oder indirekt, durch die Handlungen Siebolds ausgelöst wurden. Das fand ich zwar recht interessant, habe es aber doch als einen Bruch gegenüber dem vorangehenden Text empfunden. Theoretisch hätte das Buch auch viel früher enden können, beispielsweise mit Siebolds Sohn Alexander. Der Schluss ist in dieser Art jedoch notwendig, um den Bogen zum Anfang zu schlagen, wo Naturgeister und der Teufel einen Pakt schließen, der sich spätestens beim Atombombenabwurf der Amerikaner erfüllt.

Ich habe das Buch sowohl in der Printausgabe als auch als E-Book zur Verfügung gestellt bekommen. Zunächst begann ich, meiner Vorliebe entsprechend, mit dem „richtigen“ Buch. Für eine Bahnfahrt entschloss ich mich, nicht den dicken Wälzer mitzuschleppen, sondern im E-Book weiterzulesen. Danach habe ich nicht mehr gewechselt, denn dieses Buch hat es geschafft, mir zu verdeutlichen, welche Vorteile ein E-Book haben kann. Nicht nur, dass es weniger wiegt, nein, hier wurden die Möglichkeiten der Technik genutzt, um das Glossar leicht zugänglich zu gestalten. Ein Fingertipp auf einen unbekannten Begriff, schon landet man bei der passenden Erklärung. Dies ist um ein Vielfaches bequemer, als im Anhang eines Buches im alphabetischen Verzeichnis zu blättern, sodass ich diese Möglichkeit häufig nutzte. Sehr schön!

Weitere Anhänge sind ein Dramatis personae, eine Chronologie, Verzeichnisse der japanischen Regierungsperioden und von Maß- und Währungseinheiten, Land- und Seekarten und der beiden japanischen Silbenalphabete, sodass man jederzeit nachschlagen kann, wenn man mehr wissen möchte, eine Erklärung braucht oder bei der Menge der Handelnden einmal den Faden verloren haben sollte.

Auch stilistisch hat mir das Buch gefallen, es lässt sich gut lesen, die Dialoge sind lebendig. Soweit ich es beurteilen kann, ist es gut recherchiert. Einziger Wermutstropfen in diesem schönen Roman sind die doch recht vielen Fehler, die trotz des Korrektorats im Buch zu finden sind.

Fans von historischen Romanen, Liebhaber von Biografien und an Japan Interessierte dürften hier auf ihre Kosten kommen.

Cover_Grünenberg_Ostpol

Reginald Grünenberg: Die Entdeckung des Ostpols. Nippon-Trilogie. Gesamtausgabe. Perlen Verlag 2014. 738 Seiten, Euro 22,90 (Print) bzw. 9,99 (Kindle), ISBN 978-3-942662-19-2.

Mehr Informationen gibt es auf die-entdeckung-des-ostpols.de – zu Amazon

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