Lesung: Michael Kogon: Lieber Vati! Wie ist das Wetter bei dir?

Am Freitag machte ich mich auf nach Weimar in die Eckermann-Buchhandlung, wo Michael Kogon aus seinem Buch über seinen Vater Eugen lesen sollte, der von den Nationalsozialisten zunächst dreieinhalb Jahre in Wien gefangen gehalten wurde und danach weitere dreieinhalb Jahre im KZ Buchenwald überlebte. In der Zeit in Wien wurde er von seiner Frau mit Wäsche versorgt, in deren Nähten kleine Briefe hinein- und herausgeschmuggelt werden konnten, die bis heute erhalten sind und von Michael Kogon zum Teil ausgewertet werden konnten. Auch der „offizielle“, also zensierte Briefwechsel ist zum Teil erhalten. Kogon bekannte sich zu seinem Widerstand gegen die Nationalsozialisten, war also politscher Häftling, wegen der jüdischen Abstammung seines Vaters bekam er während seiner Gefangenschaft zusätzliche Erschwernisse. Später war er Mitglied im Komitee der Buchwaldhäftlinge. Sein Buch „Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager“, das er 1946 veröffentlichte, gilt bis heute als Standardwerk. Er war Publizist, Soziologe und wurde Professor für Politikwissenschaft in Darmstadt, Begründer und Moderator des Politikmagazins „Panorama“ und war in vielerlei weiterer Hinsicht wichtig für die intellektuelle Entwicklung der Bundesrepublik.

Sein ältester Sohn Michael, Volkswirt und Politologe, übersetzte die Werke Stéphane Hessels, den sein Vater aus dem Konzentrationslager Buchenwald gerettet hatte und der zu einem Freund der Familie wurde. Nun schrieb er die Erinnerungen an seinen Vater auf, mit denen er ihm, aber auch seiner Mutter, ein Denkmal setzen möchte.

Die Lesung

Etwas 80 Zuhörer waren gekommen, was die erwartete Besucherzahl offensichtlich überstieg und die Buchhandlung an ihre Kapazitätsgrenzen brachte.

Die Lesung wurde von Prof. Dr. Volkhard Knigge moderiert, dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald. Er führte zunächst in das Leben Eugen Kogons ein, weil er davon ausging, dass dieser Mann heute nicht mehr allgemein bekannt ist. Zu Recht, wie ich meine, auch wenn eine ältere Dame aus dem Publikum heftig widersprach. Für mich (und sicherlich für einen Großteil des Publikums, vor allem die jüngeren) waren die Ausführungen Knigges jedoch sehr interessant und hilfreich.

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Michael Kogon (links) und Prof. Knigge (rechts)

Anschließend erläuterte Knigge, warum er das Buch lesenswert fand. So erläuterte er unter anderem, dass es sich um die Erstveröffentlichung zahlreicher Briefe und Kassiber handele, teils zensiert, teils unzensiert. Besonders beeindruckt habe ihn der unvermittelte Eindruck von der Neuartigkeit der NS-Verbrechen für Kogon, der daraus spricht. Immer wieder habe Kogon darauf hingewiesen, dass sich sicher alles aufklären würde, da er sich nach bis dato geltender Rechtsauffassung nichts hatte zuschulden kommen lassen und lange glaubte, das rechtsstaatliche Handeln müsse wieder greifen. Besonders beeindruckt sei er von Kogons Haltung gewesen, sich in wachsender Bedrängnis zu größerer Menschlichkeit verpflichtet zu fühlen, was auch erkläre, warum er und andere unter größter Lebensgefahr Stéphane Hessel und seine Begleiter retteten. Es sei ein Buch, in dem ein Sohn sich von Vater emanzipiere, ohne, wie es heute oft üblich sei, zu hadern, abzurechnen oder zu tratschen, ohne den Vater auf einen Sockel zu stellen, aber auch ohne ihn vom Sockel zu stoßen.

Auch diese Ausführungen fand ich äußerst interessant, aber leider etwas deplaziert. Wir Zuhörer hatten zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Wort aus dem Buch gehört, meines Erachtens hätte seine Analyse und Bewertung im Anschluss an die Lesung erfolgen müssen.

Leider, wenn auch verständlich, ging Kogon danach auf diese Ausführungen ein, erklärte das eine, erläuterte das andere. Beide Männer verstehen es, sehr gut zu reden, es war jederzeit spannend, ihnen zuzuhören. Dennoch wurde ich langsam ungeduldig, wollte ich doch Passagen aus dem Buch hören.

Endlich las Kogon. Er hatte Passagen ausgewählt, die seine Kindheit und Jugend betrafen. Er hatte mit seinem Bruder lange Zeit im Kloster leben müssen, war aber mittlerweile zurück in Wien, weil die Klöster keine Schüler mehr beherbergen durften. Unbehelligt besuchte er das Gymnasium, vielleicht, weil seine Mutter auf den Fragebogen über den den Vater betreffenden Part immer schrieb, die Gestapo habe ihr streng verboten, darüber Auskunft zu erteilen. So schildert er, wie er eines Tages durch den Fehler eines Klassenkameraden ins Visier eines Offiziers geriet. Eine weitere Episode handelt von seiner Zeit als Flakhelfer, als er plötzlich KZ-Häftlinge bewachsen musste und sich bewusst wurde, dass das Menschen wie sein Vater sind und dass es sich bei dessen Bewachern vielleicht teilweise um Jungen handelt, wie er selbst einer ist. In einer dritten Passage ging es um ein Weihnachtsgeschenk, das der Vater aus Buchenwald geschickt hatte – sehr praktische und warme Fäustlinge aus Kaninchenfell, die der junge Michael aber als modisch untragbar einschätzte. Hier erschütterten vor allem die frei erzählte Geschichte von der Herkunft der Kaninchen (Herstellung von Tuberkulose-Impfstoff im KZ) und die Bitte des Vaters um Suppenwürfel, um genau diese Kaninchen nach Abschluss der Produktion würzen zu können. Alle Abschnitte gingen mir sehr nahe, weil es Kogon gelingt, die Gefährlichkeit oder Absurdität einer Situation sehr eindringlich, aber immer mit einer Prise Humor zu schildern.

Im Anschluss an die Lesung gab es noch die Gelegenheit, Fragen zu stellen oder zu diskutieren, bis Kogon abschließend, auf Wunsch Knigges, die letzten anderthalb Seiten des Buches vorlas, die mich zu Tränen rührten.

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Michael Kogon signiert und nimmt sich die Zeit für kurze Gespräche

Natürlich nahm ich die Gelegenheit wahr, mir das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Insgesamt war es eine sehr gelungene und informative Veranstaltung mit einem sehr sympathischen Autor. Nur hätte ich mir die Lesung mehr zu Beginn gewünscht und hätte auch gerne mehr vom Inhalt der vielfach erwähnten Briefen und Kassiber gehört. Auch den Untertitel „Briefe aus dem KZ Buchenwald“ halte ich nach dem Gehörten für etwas irreführend, da diese Briefe wohl nur einen kleinen Teil des Buches ausmachen, die Kassiber stammen ja aus der Zeit in Wien und viel handelt wohl vom Erleben des Sohnes Michael. Aber das macht nichts, denn es handelt sich zweifellos um ein wichtiges und lesenswertes Buch. Ich werde berichten, sobald ich es gelesen habe.

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Michael Kogon: Lieber Vati! Wie ist das Wetter bei dir? Erinnerungen an meinen Vater Eugen Kogon. Briefe aus dem KZ Buchenwald. Patloch 2014. 528 Seiten, Euro 22,99, ISBN 978-3-629-13054-9.

Zur Verlagsseite – bei Lieber Vati! Wie ist das Wetter bei Dir?: Erinnerungen an meinen Vater Eugen Kogon

 

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