Jens Johler: Die Stimmung der Welt

Noch nicht ganz 15 Jahre alt verlässt der junge Johann Sebastian Bach 1700 Ohrdruf, wo er nach dem Tod seiner Eltern bei seinem älteren Bruder aufwuchs. Er hat ein Stipendium in Lüneburg an der Lateinschule erhalten, wo er Unterkunft, Verpflegung und Unterricht dafür erhält, dass er im Kirchenchor mitsingt. Sein Ziel ist es, ein berühmter Musiker zu werden. Dank seiner raschen Auffassungsgabe vervollkommnet er seine Fähigkeiten im Orgelspiel schnell. Im Laufe der Jahre lernt er zahlreiche bekannte Organisten kennen, wie Georg Böhm und Dietrich Buxtehude. In Hamburg besucht er zum ersten Mal die Oper und ist von ihr ebenso fasziniert wie von einer jungen Sängerin. Sollte er wirklich Kirchenmusiker werden oder würde er nicht vielleicht lieber Opern komponieren?

Seine berufliche Laufbahn bringt ihn an viele verschiedene Stationen (Mühlhausen, Arnstadt, Weimar, Köthen), wo er von den Alltagsaufgaben oft sehr in Anspruch genommen wird und auch gerne einmal aneckt. Doch nie verliert er eine Idee aus den Augen, die ihm bereits als Schüler gekommen ist: ob es nicht doch möglich ist, den Quintenzirkel so zu verbessern, dass alle Tonlagen gespielt werden können, ohne das Instrument neu zu stimmen. Eine Begegnung mit dem Organisten Werckmeister bringt den entscheidenden Anstoß, der Jahre später im Wohltemperieren Klavier mündet. Doch als ihm das Kunststück gelungen ist, überfallen ihn große Zweifel. Ist es nicht wider die göttliche Natur, was er da erschaffen hat?

Über das Leben Johann Sebastian Bachs sind nur Eckdaten bekannt: Wann er wo gelebt hat, an welchen Kirchen er arbeitete, dass er im Gefängnis saß. Um das Bekannte herum hat Johler einen Roman geschrieben, der zeigt, wie es gewesen sein könnte. Nun könnte man denken, ach, der olle Bach hat eben immerzu an irgendwelchen Kirchen die Orgel gespielt und daneben komponiert, wie langweilig. Aber keineswegs. Johler gelingt es, einen Musiker und Menschen zum Leben zu erwecken mit all seinen Ambitionen, Wünschen, aber auch Ängsten und Problemen. Er zeigt einen jungen Heißsporn, der sich gerne mal mit Autoritäten anlegt, der große Pläne hat, der aber auch einer Affäre nicht abgeneigt ist und seine Familie dennoch innig liebt. Er ist sehr gläubig und möchte das Lob Gottes in seinen Kompositionen vermitteln, ist aber auch nicht frei von Zweifeln. Natürlich spielt die Musik eine überaus wichtige Rolle in diesem Roman. Das machte mir zunächst etwas Sorge, schließlich verstehe ich nicht gerade viel davon. Die Theorie nimmt jedoch niemals überhand, die Erklärungen sind gut in Dialoge und Gedanken eingebaut, sodass ich nun auch weiß, was es mit dem Quintenzirkel auf sich hat, der eine grundlegende Bedeutung hat – seine Fehlerhaftigkeit möchte Bach korrigieren. Nebenbei wird anderes Zeitgeschehen diskutiert, von Newton (Neu-Ton!) bis Leibniz. Das ist richtig spannend!

Johler gelingt es, ein lebendiges Bild der Zeit und des Menschen Johann Sebastian Bach zu schaffen. Der Roman ist gut recherchiert und lebendig und fesselnd geschrieben. Verblüfft war ich lediglich von etwas plötzlichen Ende, ich hatte erwartet, dass das ganze Leben Bachs geschildert wird – aber das zugrundeliegende Problem war ja gelöst. Absolut empfehlenswert!

Cover_Johler_StimmungderWelt

Jens Johler: Die Stimmung der Welt. Alexander Verlag 2014. 352 Seiten, Euro 22,90, E-Book Euro 9,99, ISBN 978-3-89581-320-7.

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0 Replies to “Jens Johler: Die Stimmung der Welt”

  1. Der Verlag hofft offenbar, mit dem Titel an den Erfolg von “Die Entdeckung der Welt” anzuknüpfen. 😉 Sobald irgendein Buch zum Bestseller avanciert, glaubt man, durch Spielerei mit dessen Titel bei späteren Veröffentlichungen das Käuferverhalten steuern zu können. Als ob das so einfach wäre. 😉 Nach Robin Norwoods “Wenn Kinder zu sehr lieben” (Ü: Sabine Hedinger) gab es nur noch Ratgeber über Frauen/Männer/Kinder/Tiere, die dies oder jenes zu sehr oder zu viel taten. Eine Zeit lang gab es lauter Wassertitel: Die Farbe/das Gewicht/das Irgendwas des Wassers etc. pp. Ich könnte mich nur noch beömmeln. Für die Gestaltung der Cover gilt übrigens dasselbe. Die wenigsten Autoren haben da ein Mitspracherecht – das entscheiden die Marketingstrategen im Verlag.

      • Hihi, freudsche Fehlleistung! 🙂 Das war eine Kombination aus “Die Vermessung der Welt” und “Die Entdeckung der Langsamkeit”. In diesem Fall habe ich mich wohl geirrt. Wenn das häufiger im Text vorkommt, rechtfertigt das natürlich auch einen Titel.

        • Ich glaube, es ist gar nicht so einfach, einen Titel zu finden, den es noch nicht gibt. Bei der Fantasybuchreihe, die ich lektoriere, legt mir der Autor auch immer fünf oder sechs Titelideen vor und bittet um meine Meinung. Es soll gut klingen, originell sein, die Leser sollen es sich merken können, es soll im Intenet gut auffindbar sein usw. Sicher spielen da immer zumindest Assoziationen eine Rolle oder tatsächlich in mnachen Fällen das ganz bewusste Orientieren an einem erfolgreichen Titel.

    • Wie spannend. Und was für ein schöner Artikel. Das Buch der ungeschriebenen Bücher möchte ich nun auch lesen. Und so eine Geheimtür wäre klasse, bietet sich bei einem Reihenmittelhaus aber irgendwie nicht so richtig an. 🙂

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