Ken Follett: Kinder der Freiheit

Die Geschichte der Familien aus Sturz der Titanen (zur Rezension) und Winter der Welt (zur Rezension) wird in diesem Band zum Abschluss gebracht. Der zweite Weltkrieg ist vorbei und die jüngeren Familienmitglieder sind in Aufbruch- und Veränderungsstimmung – in den USA und England ebenso wie in Deutschland oder der Sowjetunion. Follett führt den Leser durch die Zeit vom Mauerbau bis zum Fall der Mauer. England wird weniger wichtig als in den früheren Bänden, Deutschland ist vor allem am Anfang und am Ende wichtig. Die größte Rolle spielen die USA: die Rassenunruhen, der Vietnam-Krieg, die Kuba-Krise, das Werk und die Ermordung von Martin Luther King und der Kennedy-Brüder … Es war viel los in jenen Jahren. Follett sorgt dafür, dass immer einer seiner Protagonisten am Ort des Geschehens ist.

Anfangs hatte ich Sorge, ich könnte mich bei der Vielzahl an Personen nicht mehr erinnern, wer mit wem wie zusammenhängt. Doch schafft Follett es, ohne eine Zusammenfassung zu Beginn oder längere Rückblicke den Leser auf den Stand der Dinge zu bringen. Hier mal ein Satz, dort eine Erklärung und schon kam meine Erinnerung zurück. Die Protagonisten aus dem ersten Band spielen nur noch eine kleine Nebenrolle, nun dreht sich alles um ihre Enkel. Der junge Ostberliner Walli will eigentlich nur eins: Musik machen. Nur leider teilt die Regierung seinen Musikgeschmack nicht. Seine Schwester Rebecca, eine Lehrerin, bekommt Ärger wegen etwas, was sie in der Schule gesagt hat. Jemand muss sie verraten haben. Sie merkt, dass sie sich mit dem falschen Mann eingelassen hat. Beide sehen für sich nur noch eine Möglichkeit: raus aus der DDR. Aber wie?

In Moskau hat es Dimka Dworkin in eine wichtige Position als politischer Berater in den Kreml geschafft. Er wünscht sich Veränderungen, aber das ist mehr als schwierig. Seine Schwester Tanja ist eine ehrgeizige und erfolgreiche Journalistin. Sie schreibt, was sie schreiben muss, aber insgeheim arbeitet sie für ein regierungskritisches Blatt und bringt damit sich und ihre Karriere in große Gefahr.

Amerika ist damals der Traum vieler junger Menschen. Und so gelangt nicht nur Walli letztlich dorthin, sondern auch die Enkel von Ethel Williams. Evie wird Schauspielerin, Dave möchte als Rockstar Karriere machen. Das geht nicht ohne Zerwürfnis mit den Eltern. George Peshkow hat, auch dank der Unterstützung seines weißen Vaters, ein Jurastudium abgeschlossen. Er möchte unbedingt mehr Rechte für die Schwarzen erreichen, vor allem in den Südstaaten. Da passt es großartig, dass Robert Kennedy einen Schwarzen in seinem Team braucht. Nun befindet sich George nahe an der Schaltzentrale der Macht. Die Frage ist, ob sein Einfluss groß genug ist, um positive Veränderungen zu erreichen.

Es ist sicherlich schwierig, so viele wichtige geschichtliche Ereignisse auf so wenig Raum zusammenzufassen, ohne dass der Leser den Überblick verliert und so, dass er trotzdem gefesselt wird. Ich war immer wieder erstaunt, wie es Follett gelingt, seine Figuren so zu entwickeln, dass sie am Ende genau dort landen, wo es etwas zu berichten gibt. Und so kommt es, dass es in den Familien überdurchschnittlich viele Politiker, Berater von Politikern, Journalisten und Künstler gibt. Das habe ich in den früheren Bänden noch nicht so extrem empfunden. Sehr interessant fand ich, wie es sich auswirkte, als ich beim Lesen in der Zeit ankam, an die ich mich erinnern kann. Während ich vorher nie das Gefühl hatte, es würden wichtige Ereignisse fehlen, kam plötzlich hier und da Kritik auf. Zum Beispiel schreibt er über Solidarnosc in Polen und über die aufregende Zeit vor den Wahlen. Dass Lech Walesa dann tatsächlich Präsident wird, wird explizit nie erwähnt. Oder beim Fall der Mauer. Ganz kurz werden die Proteste in Dresden erwähnt (Walli sieht sie im Fernsehen), es ist mehr ein Nebensatz. Dass sie Wochen andauerten, mit welchen Gefahren sie verbunden waren, fehlt. Dann schreibt er über die Grenzöffnung in Ungarn, von wo einige Personen flüchten. Ich glaube, kein Deutscher würde über den Fall der Mauer schreiben, ohne die Prager Botschaft zu erwähnen, die hier überhaupt nicht vorkommt. Das könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Follett sehr ausführlich über die 60er-Jahre schreibt und dann in ziemlich rasantem Tempo auf vergleichsweise wenigen Seiten durch die restlichen Jahre saust. Ein wenig schien es mir, als hätte er beim Schreiben irgendwann gemerkt, dass er das in diesem Stil nicht mehr alles in einen Band bekommt und deshalb des Rest radikal gekürzt, was ein wenig schade ist. Möglicherweise hätte am Anfang das eine oder andere etwas gerafft werden können, zum Beispiel bei den Affären von John F. Kennedy (überhaupt, warum müssen ständig alle mit irgendwem im Bett landen?) oder den Rassenunruhen, obwohl Letzteres für mich mit das Interessanteste des Buches war, vielleicht weil ich darüber noch nicht im Detail Bescheid wusste.

Ich habe einige der Hauptfiguren sehr ins Herz geschlossen, mit ihnen gehofft, gelitten, mich gefreut, z. B. George. Manchmal habe ich bedauert, dass einige sehr lange kaum vorkamen, aber meistens kam genau dann der Moment, wo sie wieder eine Rolle spielten. Andere blieben etwas blass. Natürlich geht es in dem Buch nicht nur um große Politik. Die Protagonisten haben Ärger mit Eltern oder Partnern, sie verlieben sich, haben berufliche Erfolge und Misserfolge, erleben Glück, Enttäuschung und Trauer. Allerdings fand ich, dass die Familiengeschichten im Vergleich zu den Vorgängerbüchern etwas zu kurz kamen. Irgendwann waren die jungen Deutschen und Engländer fast alle in den USA angekommen, die daheim gebliebenen Familienmitglieder und ihre Schicksale kamen kaum mehr vor. So wäre es ja vielleicht lohnenswert gewesen, detaillierter zu schildern, wie das Leben der in der DDR lebenden Familienmitglieder Wallis weiterging, vielleicht spannender als der Bericht von seiner nächsten Plattenaufnahme.

Dennoch: Die weitgehend gelungene Verflechtung persönlicher Schicksal mit der Weltgeschichte sorgt dafür, dass Kinder der Freiheit ein spannender Roman mit nur gelegentlichen Längen ist, den ich zumindest kaum aus der Hand legen konnte.

Cover_Follet_KinderderFreiheit

Ken Follett: Kinder der Freiheit. Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher. Lübbe 2014. 1216 Seiten, Euro 29,99, ISBN 978-3-7857-2510-8.

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One Reply to “Ken Follett: Kinder der Freiheit”

  1. Ui, ui, große Literatur antäuschen aber von “Rassenunruhen” faseln? Einfach weiterlesen…aber den Massenschund wegwerfen. Der scheint die Sprache hier zu prägen. Rassismus heißt DAS dort drüben! Und das ist Gauck’s loveliest country.

    Und warum sollte einen, der den Weltmarkt absahnen will, eine Figur wie “Lech Walesa, ..+…Fall der Mauer. ” groß interessieren.
    Oder interessiert hier jemanden das Schicksal von Mali’s Super Rail Band., wenn deutsche Waffen in fremder Hand und für eine andere Religion als “DIE BÖRSE” das freundliche Land zermalmen?
    Scheint also großer West- Kitsch zu sein…lese ich nicht.
    Der börsenkonformen Antidemokratin “Mutti” gefällt das. Sicher.

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