Jonathan Evison: Umweg nach Hause

Ben wurde vom Leben ziemlich gebeutelt und versucht nun, langsam wieder Fuß zu fassen. Er besucht einen Kurs in häuslicher Pflege und schafft es anschließend, eine Stelle bei Trevor zu bekommen, einem schwer kranken jungen Mann. Trevors hat Muskeldystrophie, das heißt seine Muskeln bauen sich ab, er sitzt im Rollstuhl, kann immer weniger selber erledigen – selbst die heiß geliebten Computerspiele sind nicht mehr möglich – und ist dadurch ziemlich zynisch geworden. Ben akzeptiert Trevors Launen, schafft es aber dennoch, auch einige neue Beschäftigungsmöglichkeiten einzuführen. So informieren sie sich über ungewöhnliche Sehenswürdigkeiten und markieren sie auf einer Landkarte. Eines Tages erwacht in Trevor der Wunsch, tatsächlich eine Reise zu unternehmen. Als es nach Überwindung zahlreicher Hindernisse (vor allem in Form von Trevors Mutter) wirklich losgeht, ist es für Ben eine Flucht vor seinem chaotischen Leben. Aber am Ende zeigt sie ihm den Weg zurück.

Ein Verlierer auf dem Weg zu sich selbst

Ben, der die Geschichte aus seiner Sicht erzählt, hat etwas Schreckliches erlebt. Was das ist, erfährt der Zuhörer in kleinen Rückblicken zwischen den aktuellen Ereignissen. Ich habe lange gerätselt, was genau passiert sein könnte, aber doch daneben gelegen. Man kommt Ben auf Dauer sehr nahe und versteht seine Handlungen und Reaktionen mit der Zeit immer besser. Vor allem sein Gefühlsleben wird bis ins Kleinste durchleuchtet, er ist eindeutig die Hauptperson, seine Psyche steht im Mittelpunkt. Aber auch die Beweggründe der anderen Protagonisten, die alle ziemlich ungewöhnlich sind, werden sehr gut herausgearbeitet. Mir gefällt besonders der warmherzige Blick auf die Personen, die zwar mit all ihren Fehlern und Schwächen gezeigt, aber dennoch nie vorgeführt werden.

Es ist ein turbulenter Roadtrip mit sehr individuellen, schrägen Charakteren. Man könnte denken, dass es bei so viel Krankheit, Sorgen und Gedanken an den Tod ein trauriges, schwieriges Hörbuch ist. Es ist aber genau das Gegenteil: Es ist sehr oft lustig, die Schilderungen haben häufig so ein gewisses Augenzwinkern. Dabei werden aber die traurigen oder tragischen Momente nicht ins Lächerliche gezogen. Ich habe Ben, Trevor, Trevors Vater Bob und die Anhalterinnen, die rebellische Dot und die naive schwangere Peaches, richtig ins Herz geschlossen, obwohl sie anfangs recht spröde sind, man sie erst näher kennenlernen und hinter ihre Kulissen schauen muss.

Die Lesung von Bjarne Mädel finde ich sehr gelungen, wenn man einmal davon absieht, dass er das „th“ nicht richtig kann (ab und zu wird eine Beth erwähnt, da gruselte es mich etwas). Er spricht sehr einfühlsam und man nimmt ihm den gebrochenen, trauernden, zornigen Ben ebenso gut ab wie den sarkastischen oder (selten) fröhlichen.

Obwohl gewisse Parallelen zu „Ein ganzes halbes Jahr“ und „Ziemlich beste Freunde“ offensichtlich sind, ist es doch eine ganz unabhängige Geschichte, die ich auf jeden Fall weiterempfehle.

Cover_Evison_UmwegnachHause
Jonathan Evison: Umweg nach Hause. Gekürzte Lesung von Bjarne Mädel. Aus dem amerikanischen Englisch von Isabel Bogdan. Random House 2015. 6 CDs, ca. 7 Std., ISBN 978-3-8371-3048-5.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – und in der nächsten Buchhandlung.

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