Holger Feindel: Onlinesüchtig? Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige

Was ist eigentlich genau Onlinesucht? Woran merkt man, dass man/jemand onlinesüchtig ist? Befindet sich das, was man selber oder jemand aus dem Verwandten- oder Familienkreis tut, noch im normalen, gesunden Rahmen oder ist es schon krankhaft? Diese Fragen stellte ich mir, bevor ich anfing, in diesem Ratgeber zu lesen. Und mit der Klärung genau dieser Frage beginnt er auch: Onlinesucht – Was ist das eigentlich? Zunächst werden einige Fallbeispiele vorgestellt und körperliche, soziale und psychische Folgen aufgezeigt. Denkt man aufgrund der angegebenen Onlinezeiten (neben der Zeit, die man aus beruflichen oder schulischen Gründen am Computer verbringt), dass eine Onlinesucht vorliegen könnte, wird man erst einmal aufgefordert, zwei Fragebögen auszufüllen. Dort wird zum Beispiel danach gefragt, ob man durch Spielen, Chatten und Co. seine Alltagssorgen vergisst, schon Ärger mit Angehörigen bekommen hat und/oder die Arbeitsleistung darunter leidet. Nach der Auswertung sieht man dann, ob eine Onlinesucht vorliegt, das Verhalten grenzwertig oder alles im Rahmen ist. Im zweiten Kapitel, Verstehen, was bei einer Onlinesucht passiert, erläutert der Autor genauer, wie sich die Sucht entwickelt, warum gerade das Internet so verführerisch ist und was mit dem Süchtigen warum geschieht.

Das dritte Kapitel wendet sich dann an die Angehörigen. In Nicht mehr hilflos daneben stehen – Was sie als Angehöriger tun können wird zunächst erklärt, was da im Internet passiert und warum es so reizvoll ist. Es gibt Tipps, wie man wieder an den Betroffenen herankommen kann. Um eine Gesprächsbasis herstellen zu können, werden auch typische Abkürzungen und Begrifflichkeiten erläutert.

Im vierten Kapitel Zurück ins Real Life – Hilfe für Betroffene finden sich viele Ratschläge, wie man vorgehen kann, wenn man merkt, dass man zu sehr von der virtuellen Welt gefesselt wird. Wie der Autor darstellt, merken nämlich viele Betroffene selbst, dass es so nicht weitergehen kann, wissen dann aber nicht, wie sie die Reißleine ziehen können. Da wird beispielsweise empfohlen, Spieleaccounts ganz zu löschen, am besten verbunden mit einer ganz individuellen Trauerzeremonie. Um wieder in einen geregelten Tagesablauf zu kommen, sollen Tagespläne aufgestellt werden. Es gibt Tipps, welche Freizeitaktivitäten sinnvoll sind, wobei oft an Früheres angeknüpft werden kann, und viele wichtige Hinweise mehr.

Am Schluss finden sich noch Hinweise auf weiterführende Literatur, hilfreiche Adressen und Material zum Ausfüllen wie die oben erwähnten Fragebögen.

Was mir an diesem Buch besonders gut gefällt, ist, dass das Internet nicht verteufelt wird. Es wird klipp und klar gesagt, dass eine vollständige Abstinenz, wie sie zum Beispiel bei Alkoholsucht empfohlen wird, heutzutage kaum möglich und auch nicht sinnvoll ist. Es kommt darauf an, einen sinnvollen Umgang zu lernen. Natürlich, jemand der Tag und Nacht gespielt hat, soll sich von Spielen fernhalten. Aber schon bei Social Media oder Whats App ist das nicht mehr so leicht möglich, will man nicht von den Aktivitäten im (hoffentlich bald wieder auch im echten Leben existierenden) Freundeskreis ausgeschlossen zu werden. Die vielen Fallbeispiele erleichtern das Verstehen und helfen dabei, das eigene Handeln oder das des betroffenen Angehörigen einzuordnen. Auch ist es schön zu lesen, wie ehemalige Patienten davon berichten, was ihnen geholfen hat und wie ihr „Leben danach“ aussieht. Man merkt, dass der Autor kein Theoretiker ist, sondern viel Erfahrung aus der Arbeit mit Onlinesüchtigen mitbringt. Holger Feindel ist ein Psychotherapeut mit Fachgebiet „Pathologischer PC- und Internetgebrauch“, der an der psychosomatischen Fachklinik München arbeitet.

Ich fand es sehr interessant, was mit mir beim Lesen vorging. An manchen Tagen bin ich von 7.30 Uhr bis zum Schlafengehen online, nur mal unterbrochen vom Essen, ein wenig Haushalt und Gesprächen mit der Familie. Auch wenn ich die beruflichen Aktivitäten herausrechne, komme ich auf erschreckend viele Stunden. Also habe ich die Fragebögen ausgefüllt und war erleichtert zu sehen, dass es doch noch nicht soo schlimm ist. Mehrere Ehrenämter und familiäre Verpflichtungen sorgen dafür, dass ich doch relativ viel in der realen Welt unterwegs bin. Aber ich fand es doch bedenklich, was ich so treibe, und habe erst mal fast alle Facebook-Spiele gelöscht, dann kann ich mich abends nicht mehr von einem Spiel zum nächsten treiben lassen, wenn die Leben verbraucht sind. Bei Facebook habe ich außerdem ca. 10 Gruppen gelöscht, damit weniger (unwichtige) Informationen auf mich herunterprasseln. Bei einem beruflichen Netzwerk habe ich das Abo der Spaßliste gelöscht. Ich habe mit mehrere kleinere Einschränkingen auferlegt. Ich habe noch im Sinn, eine Aufgabe abzugeben, die mich immer wieder ins Internet führt, aber das braucht etwas Vorlauf. Und dann wollte ich spätestens um 22 Uhr die Kiste ausschalten, was am Wochenende schon mal nicht geklappt hat. Mal sehen, wie sich das alles auf Dauer anfühlt und was es bewirkt

Bei mir hat dieses Buch eine Menge ausgelöst. Ich kann mir also sehr gut vorstellen, dass es Betroffenen hilft. Und wenn es nur den Anstoß dazu gibt, sich professionelle Hilfe zu suchen! Auch für Angehörige ist es sehr sinnvoll, damit diese verstehen, was da überhaupt passiert und warum und wie sie dem Betroffenen helfen können.

Cover_Feindel_Onlinesüchtig

Holger Feindel: Onlinesüchtig. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Patmos 2015. 144 Seiten, Euro 14,99, ISBN 978-3-8436-0655-4.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – und in jeder Buchhandlung.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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