Stefan Zweig: Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums

Wer „entdeckte“ Amerika? Christoph Kolumbus, na klar. Aber wieso ist der riesige Doppelkontinent nicht nach ihm benannt worden, sondern nach dem weitgehend unbekannten Amerigo Verspucci? Wer war dieser Verspucci eigentlich und was hat er geleistet?

Warum heißt dann Amerika nicht Columbia, sondern Amerika?

Wie dies kam, ist ein richtiger Rattenkönig von Zufällen, Irrtümern und Missverständnissen, diese Geschichte eines Mannes, der auf Grund einer Reise, die er nie gemacht hat und die gemacht zu haben er nie behauptet hat, den ungeheuren Ruhm erbeutete, seinen Vornamen zum Namen des vierten Weltteils unserer Erde zu erheben. Seit vier Jahrhunderten verwundert und verärgert diese Namensgebung die Welt. (S. 8)

Wie es zu der Benennung kam, welche Rolle Amerigo Vespucci dabei gespielt hat und was seine Lebensleistung war, darüber streiten sich seit Jahrhunderten die Gelehrten und Wissenschaftler. Stefan Zweig hat rollt die ganze Debatte auf und erklärt chronologisch, was wer zur jeweiligen Zeit über Vespucci wusste, was mit diesem Wissen geschah, warum sein Name auf die Karten gelangte, was er selbst damit zu tun hatte und wie die Nachwelt über ihn urteilte. Obwohl mir dank meines Lateinamerikanistikstudiums die Diskussion um den Namensgeber Amerikas nicht ganz unbekannt war, habe ich nie eine so systematische Untersuchung darüber gelesen, welche Ereignisse wie ineinandergegriffen haben, dass es dazu kommen konnte.

Sein Name ist nicht mehr zu löschen aus dem glorreichsten Buch der Menschheit … Denn nie entscheidet die Tat allein, sondern ihre Erkenntnis und ihre Wirkung. (S. 109)

Je nachdem, welche Sichtweise Zweig gerade untersucht, tendiert man als Leser dazu, Vespucci als Betrüger einzustufen oder ihn für vollkommen unschuldig an dem ganzen Durcheinander zu halten, so klar, logisch und nachvollziehbar legt Zweig die jeweiligen Argumente dar. Das ist kein bisschen langweilig, sondern wird von Zweig spannend wie ein Krimi geschildert.

Eine faszinierende und spannende Lektüre über einen angeblichen historischen Betrugsfall, die nicht nur für historisch Bewanderte von Interesse ist.

Wie kam ich darauf, dieses schon ältere (aber absolut zeitlose) Buch jetzt zur Hand zu nehmen? Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig, aus einer jüdischen Familie stammend, emigrierte 1934 zunächst nach England, später über mehrere Zwischenstationen nach Brasilien. Das Leben Zweigs im Exil wurde jetzt von Maria Schrader verfilmt, am 02.06. läuft er an. Ich werde mir den Film auf jeden Fall anschauen. Ihr könnt zwei Freikarten für Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika für ein beliebiges Kino gewinnen, in dem der Film läuft. Zum Gewinnspiel geht es hier.

Cover_Zweig_Amerigo

Stefan Zweig: Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums. Fischer 1989. 112 Seiten, Euro 7,99, ISBN 978-3-596-29241-7.

Zur VerlagsseiteAmazon – über Buchhandel.de – und in der Buchhandlung um die Ecke.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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