Firas Alshater: Ich komm auf Deutschland zu

Ich kann mich gar nicht genau erinnern, wann ich zum ersten Mal etwas von Firas Alshater gehört habe. Ich glaube, es war sein Zucker-Video, das ich gesehen und woraufhin ich ihm sofort auf Facebook gefolgt bin. Ich mag seinen neugierigen, aber auch sehr scharfen Blick auf Deutschland und die Deutschen sehr. Deswegen MUSSTE ich auch unbedingt sein Buch lesen.

Und wie ein Einkaufswagen funktioniert, kapiere ich auch ziemlich schnell. Eigentlich ganz praktisch, mit so einem Wagen an den Regalen vorbeizuschieben. Und lustig: Man nimmt Anlauf, stemmt sich hoch und guckt, wie weit der Wagen rollt. Seitdem nehmen die Verkäufer bei Lidl um die Ecke lieber einen anderen Gang, wenn sie mich sehen. Allzu oft kann ich das nicht machen, sind ja richtig teuer, diese Wägelchen. Irgendwann klärt mich eine deutsche Bekannte auf, dass der Euro aus dem Wagen auch wieder zurückkommt, wenn man den Wagen eigenhändig in die Wagenreihe zurückschiebt.
Ups!

Ich hatte gehört, dass es ein sehr lustiges Buch sein soll, in dem der Alshater seine Erlebnisse in Deutschland beschreibt. So kam es, dass ich nicht ganz auf das vorbereitet war, was ich dann zu lesen bekam …

Alashater berichtet nämlich keineswegs nur von interessanten Begegnungen, dem Behördenirrsinn in Deutschland und alltäglichen, absurden und ungewöhnlichen Erlebnissen, sondern er erzählt seine Lebensgeschichte. Was er in Syrien erlebt hat, war wahrhaftig nicht zum Lachen. Er demonstrierte gegen das Assad-Regime, landete mehrfach im Gefängnis, wurde misshandelt und gefoltert. Freunde und Familienmitglieder verschwanden spurlos, wurden aus Angst totgeschwiegen. Einige Schilderungen haben mich tief berührt. Eigentlich wollte der junge Mann in Syrien ein ganz normales Leben führen, studieren, arbeiten, doch er war nicht bereit, sich zu ducken und seinen Mund halten. Dafür wurde er schwer bestraft, und dennoch muss man sagen, dass er noch Glück gehabt hat.

Wir beschlossen, die Familie zu retten, sollte es Überlebende geben. Wegen der Scharfschützen konnten wir aber nicht einfach die Straße benutzen. Und so fingen wir an, Nacht für Nacht Löcher in die Hauswände zu hauen, bis auf diese Weise ein Tunnel durch verlassene Wohnungen entstand. Obwohl die Wohnung der Familie eigentlich um die Ecke lag, brauchten wir vier Nächte, bevor wir das Haus erreichten.

Gegen das, was er in Syrien erlebt hat, sind die Widrigkeiten des Lebens in Deutschland im Prinzip ein Klacks. Aber dennoch: Er schildert sehr genau, wie man sich fühlt, wenn man ohne Beschäftigung, ohne einen Platz für sich selbst, ohne einen Moment der Ruhe in einer Gemeinschaftsunterkunft leben muss. Wie es ist, wenn man ewig auf einen Stempel warten muss und immer wieder (vergeblich) anstehen muss. Was er erlebt hat, war also sehr oft sehr schwierig für ihn. Doch dann passierte es: Er wurde quasi über Nacht zum YouTube-Star, plötzlich war er ein gefragter Mann. Das löste manche Probleme, brachte aber andere mit sich.

(…) und das Video rauscht wie eine Lawine durch die Netzwerke. Die Leute teilen und teilen und teilen. Warum denn bloß? Haben die alle noch nie einen Flüchtling gesehen, der witzig ist?

Wie kommt es nun, dass das Buch überall als witzig beschrieben wird? Das liegt an dem beeindruckenden Humor Alshaters, der es schafft, selbst in den schrecklichsten Momenten noch etwas Komisches zu entdecken, was dem Leser ein Schmunzeln entlockt. Außerdem ist es herrlich, wie er uns Deutschen manchmal den Spiegel vorhält. Vieles fällt einem ja selber nicht mehr auf, man ist je daran gewöhnt.

Leiden und Lachen liegen immer sehr eng beieinander. Ich habe ja auch gelacht, als ich aus dem Foltergefängnis kam. Der Humor ist tief in mir drin.

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil der Wechsel aus Schilderungen der ersten Zeit in Deutschland und Rückblicken auf sein Leben in Syrien derart fesselnd und spannend beschrieben ist und weil die Lektüre durch den immer durchblitzenden Humor auch nicht zu bedrückend ist.

Fazit: Eine unbedingte Leseempfehlung!

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Firas Alshater: Ich komm auf Deutschland zu. Ein Syrer über seine neue Heimat. Ullstein extra 2016. 240 Seiten, Euro 14,99, ISBN 978-3-86493-049-2.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – und in jeder Buchhandlung.

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