Zora Neale Hurston: Barracoon. Rezension

Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven

… so der Untertitel des Buches, wird hier erzählt.

1860, der Sklavenhandel war in den USA bereits verboten, machte sich dennoch ein Schiff auf nach Westafrik. Der mögliche Gewinn schien die Risiken der Reise aufzuwiegen. Auf diesem Schiff, der Clotilda, gelangte Oluale Kossula nach Amerika, wo er auf abenteuerlichem Weg ins Land geschmuggelt und erst einmal versteckt wurde. 67 Jahre später wurde er von der Schriftstellerin und Volkskundlerin Zora Neale Hurston bei etlichen Treffen zu seinem Leben befragt.

Dabei erinnert er sich an die vielen Jahre in den USA, wo er Cudjo Lewis genannt worden war und zunächst fünf Jahre als Sklave und später als Freigelassener lebte. Doch seine Kindheit und Jugend bei seinem Volk, den Takkoi (Yoruba), hatte er ebenso wenig vergessen wie den Überfall auf sein Dorf, seine Gefangennahme durch dahomeische Krieger, den langen Marsch an die Küste, das Eingesperrtsein in einem Barracoon, ein Sklavengefängnis und schließlich die grausame Überfahrt. Kossula war der letzte bekannte Überlebende dieses letzten Schiffes.

Die Einleitung berichtet zunächst von der Reise der Clotilda, bevor Oluale Kossula also Cudjo Lewis selbst zu Wort kommt. Er war damals „der einzige Mensch auf Erden, der in seinem Herzen die Erinnerung an sein afrikanisches Zuhause trägt, an die Gräuel einer Sklavenjagd, den Barracoon, die graue Zeit der Sklaverei, und der 67 Jahre in einem fremden Land hinter sich hat.“

Authentischer Bericht über Gefangennahme und Transport der Sklaven

Das Buch gibt die Geschichte wieder, wie der 86-jährige Kossula sie erzählt hat, mit allen Erinnerungslücken und eventuellen Fehlern. Sie ist auch im englischen Original erst vor wenigen Jahren erschienen, weil die Autorin sich weigerte, eine sprachlich geglättete Version zu publizieren. Ein Ausschnitt des englischen Originals zeigt, wie sehr die Sprache vom Standard abweicht, was es sicherlich schwierig zu lesen macht. Dieses Problem haben wir Leserinnen und Leser der Übersetzung nicht. Dennoch wurde versucht, die mündliche Erzählweise mit ihren Wiederholungen und der einfachen, abgeschliffenen Sprache ins Deutsche zu übertragen. Man merkt dem Text die Mündlichkeit auch deshalb an, weil die Interviewerin zwar versucht hat, den Befragten zu lenken, dieser aber natürlich auch einmal abschweifte und den Faden verlor. Das macht die Lektüre manchmal etwas schwierig, doch die Mühe lohnt sich und ich finde, die Schilderung wirkt dadurch auch besonders authentisch.

Ich fand den Bericht äußerst interessant. Es ist unfassbar, welches Leid dieser eine Mensch in seinem Leben ertragen musste, welche Grausamkeiten und Unglücke er überstand. Dennoch ist der alte Mann ein gläubiger Mensch, der meist den Eindruck macht, in sich zu ruhen und seine Schicksalsschläge akzeptiert zu haben. Für mich war besonders der Anfang interessant: die Erinnerungen Kossulas an seine Kindheit und Jugend mit ihren Traditionen und Ritualen und den abrupt unterbrochenen Heiratsplänen, gefolgt von seiner Festnahme von Mitgliedern eines benachbarten Stammes, die keinerlei Skrupel hatten, ihre Landsleute an weiße Händler zu verkaufen, den anstrengenden Marsch, die Gefangenschaft, das Verladen auf das Schiff und die Überfahrt. So etwas habe ich noch nie aus der Perspektive eines Betroffenen gelesen. Das war sehr authentisch und machte mich betroffen.

Viele Zusatzmaterialien

Gerne hätte ich mehr und ausführlichere Informationen bekommen, aber der eigentliche Bericht ist nur gut 100 Seiten lang. Das hängt natürlich mit der Entstehungsgeschichte zusammen: Die Autorin hat Kossula mehrfach besucht, manchmal mochte er erzählen, andere Male nicht, weitere Besuche wären sicherlich eine Kostenfrage gewesen und letztlich hatte er die Essenz seines Lebens erzählt. Schade ist allerdings, dass die Jahre seiner Sklaverei nur sehr kurz angerissen werden – möglicherweise wollte er darüber nicht ausführlicher berichten und hat das Thema vermieden.

Das Buch beginnt mit zwei Vorworten, darunter eine von Alice Walker, und der erwähnten Einleitung, die für das Verständnis sehr wichtig ist. Es folgen noch Geschichten, die Kossula erzählte, und die Beschreibung einiger Kinderspiele, was sicherlich völkerkundlich wichtig ist, was mich aber nicht mehr fesselte.

Fazit: Ein sehr empfehlenswertes Buch über den amerikanischen Sklavenhandel, das auch authentische Einblicke in die Gefangennahme in Westafrika und die Überfahrt gibt.

Cover Barracoon. Foto: Oluale Kossula sitzt aus der Verranda seines Hauses.

Zora Neale Hurston: Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven. Herausgegeben von Deborah G. Plant. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. Penguin 2021. 224 Seiten, 11 Euro.

 

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