Maša Kolanović: Underground Barbie

Eine Kindheit im Krieg …

Das Höchste für das Mädchen und ihre Freundinnen sind Barbies. Aus dem Fernsehen und Prospekten kennen sie alle Barbies, Kens und Skippers in ihren verschiedene Ausstattungen. Wer tolle Puppen mit viel Zubehör hat, steht hoch im Kurs, wer nur nachgemachte Puppen hat, kann bei den Spielen nur eine Nebenrolle übernehmen. Am liebsten spielen die Kinder der Hochhaussiedlung Sloboština, einem Vorort von Zagreb, draußen auf den Gullideckeln. Aber dann beginnt der Krieg in Jugoslawien und damit lange Zeiten bei Luftalarm im Keller. Natürlich haben die Mädchen ihre größten Schätze sicherheitshalber eingepackt und so entdecken sie den Keller als neuen Spielort. Ihre neue Lebenswirklichkeit hält auch Einzug in die kindlichen Spiele, die immer brutaler und blutiger werden.

Die Ich-Erzählerin erzählt zunächst begeistert von ihren Barbies und all dem Zubehör, das sie besitzt. Sie schildert die Spiele mit ihren Freundinnen, die einen großen Teil ihrer Freizeit beanspruchen. Ich als frühere begeisterte Puppenmutti konnte mich gut in sie hineinversetzen. Ich weiß noch, wie wichtig diese Spiele für mich waren. Und so empfand ich die Ausführlichkeit, mit der dieses Thema abgehandelt wurde, auch nicht als langweilig, im Gegenteil, ich musste häufig schmunzeln, weil ich mich wiedererkannte.

Doch dann beginnt der Jugoslawienkrieg, und hier gehen die Erinnerungen der Protagonistin einen anderen Weg als meine. Immer noch steht das harmlose Spiel im Vordergrund, doch mehr und mehr drängt sich die Realität in die Schilderungen: Die Eltern, die ständig die Nachrichten im Fernsehen verfolgen und gleichzeitig das Radio laufen haben; die bange Überlegung, wie die Barbie-Schätze so eingepackt werden können, dass sie bei Luftalarm jederzeit mit in den Keller genommen werden können; die Fahrt zum Musikunterricht, bei der es plötzlich Luftalalarm gibt oder die vom ganzen Land lang ersehnte letzte Folge einer Serie, bei der plötzlich die Orte eingeblendet werden, in denen Alarm gegeben wurde, immer näher an Zagreb heranrückend … Es hat mich berührt zu lesen, wie sich solch ein Alltag auf das Kinderspiel auswirkt. Immer mehr Brutalität zieht ein, aber auch Patriotismus. Und zwischendurch immer wieder ganz normale Szenen, bei denen die Kinder den tristen Alltag vergessen. Sie träumen sich in eine bessere Welt, aber dann, schlagartig, bringt eines eine blutige Wendung hinein. Und so kann ein Musikwettbewerb, bei dem patriotische Lieder gesungen werden, schon mal in einem Barbie-Massaker enden.

Die Schilderung wird durch zahlreiche Zeichnungen unterbrochen und aufgelockert, die aussehen, als wären sie tatsächlich von einem Mädchen im Alter der Erzählerin gemalt worden.

Ich habe das Buch mit großen Interesse gelesen, denn es hat mir einen ganz neuen Blick auf den Jugoslawien-Krieg gewährt. Ich habe damals die Nachrichten verfolgt, ich habe viele Artikel darüber und über die Aufarbeitung gelesen, aber solch eine Innensicht, noch dazu die eines Kindes, ist doch etwas ganz anderes. Leider gab es im Laufe der Zeit die eine oder andere Länge, das in Detail geschilderte Barbie-Spiel wurde mir dann doch zu viel, aber trotzdem ist es eine sehr empfehlenswerte Geschichte.

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Maša Kolanović: Underground Barbie. Prospero 2012. Euro 14,–, 208 Seiten, ISBN 978-3-941688-20-9

Dies ist wieder eine Rezension für Blogg dein Buch. Ich danke dem Prospero-Verlag für das Rezensionsexemplar!

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