Der jüdische Tuchhändler Johann Isidor Sternberg hat es geschafft. Er hat für seine Familie, seine schwangere Frau Betsy und den vierjährigen Otto, ein großes Haus in der Rothschildallee bauen lassen. Das Viertel ist aufstrebend, die Mieteinnahmen werden zum – ohnehin guten – Einkommen beitragen und er wähnt sich in der guten Frankfurter Gesellschaft angekommen. Auch Betsy träumt den Traum von vom Aufstieg. Otto dagegen bekommt erst einmal die negativen Folgen zu spüren: Er darf nicht mehr mit irgendwelchen Nachbarjungen draußen toben, sondern soll sich nun nur noch mit ausgesuchten Kindern abgeben.
Nach dem ersten Kennenlernen der Sternbergs macht die Handlung einen Sprung ins Frühjahr 1910. Ein weiterer Sohn und zwei Töchter, die Zwillinge Erwin und Clara und die kleine Victoria, haben zwischenzeitlich die Familie vergrößert. Der Leser bekommt intensive Einblicke in das Leben einer assimilierten jüdischen Familie. Johann Isidor Sternberg ist der Glaube seiner Väter zwar wichtig, aber noch wichtiger ist ihm das Vaterland. Wie glücklich ist er, als Kaiser Wilhelm II. zu Beginn des Weltkrieges verkündet, er kenne keine Parteien und Konfessionen mehr, alle seien deutsche Brüder. Endlich, so denkt er, sind die Juden als gleichwertig akzeptiert.
Der Krieg bringt viele Härten für die Familie, Otto legt das Notabitur ab und wird Soldat. Am Ende ist vieles verloren und die Judenzählung zeigt Sternberg, wie falsch er doch gelegen hat.
Die Handlung umfasst die Jahre 1910 bis 1917 mit zwei großen Sprüngen. Teilweise beschreibt Zweig sehr detailliert, vielleicht sogar etwas zu detailliert und blumig:
Die Sonne erreichte feuchtes Gemäuer in engen Gassen und strahlte mit Titanenkraft auf Herrenhäuser und die weiträumigen Plätze, von denen es immer mehr in der Stadt gab. Hell im Licht der Hoffnung leuchteten die Schwanzfedern der Wetterhähne. (S. 8)
Als ich dies zu Beginn des ersten Kapitels gelesen hatte, fürchtete ich, dass das ganze Buch in diesem Stil geschrieben ist, dann hätte ich es sicherlich nicht durchgehalten. Zwar sind die Beschreibungen meist recht ausführlich, aber wenigstens nicht immer derart blumig, sodass ich das Buch durchaus mit Vergnügen und Neugier auf den Fortgang der Handlung gelesen habe. An manchen Stellen habe ich kurz den Faden verloren. Zu Beginn eines Abschnitts wird ein Ereignis geschildert oder eine Aussage wiedergegeben, dann macht die Handlung einen kleinen Sprung zurück und es wird beleuchtet, wie es dazu kam oder welche Gedanken einer der Protagonisten dazu hat, bis man plötzlich wieder am ursprünglichen Punkt ankommt. Mehrmals habe ich verwirrt zurückgeblättert, weil ich den Sprung nicht bemerkt hatte und das Gelesene nicht einordnen konnte.
Wie bereits erwähnt, beginnt die Handlung 1900, macht einen großen Sprung ins Jahr 1910 und später einen kleineren nach 1914. Dies fand ich bedauerlich, weil ich gerne Familiengeschichten lese, die es einem ermöglichen, die Protagonisten gut kennenzulernen und ihre Entwicklung zu verfolgen. Durch die Sprünge musste die Verbindung immer wieder neu aufgebaut werden. Mal wird der eine beleuchtet, mal der andere, einen Einblick in die Gedanken und Gefühle aller zu einem bestimmten Zeitpunkt bekommt man nicht, die Charaktere bleiben blass. Auffällig fand ich, dass die Darstellung sehr auf den Kosmos der Familie beschränkt ist. Außer nahen Verwandten und den Hausangestellten werden wenig Kontakte zur Außenwelt geschildet. Das Ende war sehr abrupt, die duldsame Haltung Betsys, die nicht einmal eine bissige Bemerkung zum Verhalten ihres Mannes macht, nicht wirklich nachzuvollziehen.
Trotz dieser Kritik ein lesenswertes Buch, weil es gut deutlich macht, welche Hoffnungen Juden auf die Assimiliation setzten und wie bitter sie enttäuscht wurden. Ich habe sofort mit dem zweiten Band „Die Kinder der Rothschildallee“ begonnen.
Stefanie Zweig: Das Haus in der Rothschildallee. Heyne 2008, 288 Seiten, Euro 8,95, ISBN 978-3-453-40617-9
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