Louise, in der Normandie aufgewachsen, flüchtet gleich nach dem Abitur vor der erdrückenden Enge zu Hause nach Berlin. Zu ihrer Mutter hält sie nur sehr flüchtigen Kontakt. Nach ihrem Examen ergibt es sich, dass sie ein Stipendium für eine Recherche bekommt, die sie in ihre Heimat führt. Direkt vor der Abfahrt flattert noch eine Todesanzeige ins Haus. Sie entschließt sich, an der Beerdigung ihrer Großtante teilzunehmen und lernt dort deren Tochter Ida kennen, eine Verwandte, von der sie nicht einmal wusste. Sie kommt mit Ida ins Gespräch und erfährt endlich die Geschichte ihrer Familie.
Einen Großteil der Familiengeschichte erfährt der Leser durch Ida, die Louise zum Teil mündlich berichtet, ihr aber auch ihre Aufzeichnungen zum Lesen übergibt. Die zweite Perspektive wird durch Louise selbst beigetragen, die sich an ihre Kindheit erinnert und an das, was ihr über ihre Vorfahren erzählt wurde. Die dritte Sicht trägt Louises Mutter bei, die ihre Tochter bei der Beerdigung nur von Ferne sieht, auf einen Besuch hofft und deren Gedanken ebenfalls in die Vergangenheit wandern. Heraus kommt die bewegte Geschichte der Frauen der Familie und Louise muss feststellen, dass ihr einiges verschwiegen wurde: die Liebe zu einem Wehrmachtssoldaten, uneheliche Kinder, eine Abtreibung, eine Großcousine … Sie beginnt ihre Mutter und manche ihrer Handlungen ein wenig besser zu verstehen – und mehr möchte ich nicht verraten!
Die Geschichte deckt den Zeitraum vom Ende der 20er- bis in die 80er-Jahre ab. Sie konzentriert sich auf die Frauen der Familie, aber die Geschichte eines Dorfes in der Normandie kann exemplarisch für die Region stehen und ist vor allem während des 2. Weltkrieges sehr interessant. Tabuthemen wie die Liebe französischer Mädchen zu Wehrmachtssoldaten kommen ebenso zur Sprache wie Alltagsschilderungen. Das alles ist sprachlich gut verpackt und lässt sich wunderbar flüssig lesen. Die Wechsel der Zeitebenen lassen sich problemlos meistern. Lediglich die Fülle der Personen bereitete mir anfangs etwas Schwierigkeiten, bis ich alle in ihre Zeit und in ihre Position innerhalb der Familie sortiert hatte.
Ein wunderschönes Buch, das ich nur empfehlen kann!
Odile Kennel: Was Ida sagt. dtv 2011. 320 Seiten, Euro 14,90, ISBN 978-3-423-24896-9 bei amazon