Abdullah hat sich rührend um seine kleine Schwester Pari gekümmert, nachdem beider Mutter bei deren Geburt gestorben ist. Als sein Vater nach Kabul aufbricht, angeblich, um dort zu arbeiten, nimmt er Pari mit. Abdullah läuft so lange hinterher, bis er mitkommen darf. Zuerst ist er beeindruckt von dem großen Haus und seinen Bewohnern, den Wahdatis, doch dann muss er sich von Pari trennen, was er nie vergessen und überwinden wird.
Pari ist erst drei und vergisst ihre frühe Kindheit. Doch ihr gesamtes Leben lang begleitet sie das Gefühl einer Leere, eines Verlusts. Erst spät erfährt sie, was ihr widerfahren ist.
Hosseini führt seine Leser vom einfachen afghanischen Dorf in den 1950er-Jahren, dessen Bewohner ums Überleben kämpfen und sich dafür sogar von ihrem Liebsten trennen, zu einer reichen Familie in die Hauptstadt Kabul. Bindeglied zwischen den Welten ist Nabi, der Onkel der Kinder. Er arbeitet für die Wahdatis und klärt in einem Brief nach seinem Tod auf, was passiert ist. Der Blickwinkel der Erzählung wechselt immer wieder. Manchmal wusste ich nicht, warum eine Figur eingeführt wurde, wo der Zusammenhang zu den anderen Protagonisten war, aber im Laufe der Handlung klärte sich alles auf. Diese Perspektivenwechsel ermöglichen es, die Ereignisse in Kabul aus der Innen- und Außensicht darzustellen. Die Lebensgeschichte weniger Personen wird so in die wechselhafte Geschichte Afghanistans mit seinen Kriegen und wechselnden Machthabern eingebunden. Immer wieder spielt ein Teil der Handlung in Paris, wohin es Pari verschlagen hat. Auch in den USA spielen etliche Kapitel, diesen Zusammenhang habe ich erst gegen Ende verstanden.
Die wichtigsten Handelnden sind ziemlich zerrissene Menschen, die, ob arm oder reich, schwierige Zeiten hinter sich haben. Hosseini gelingt es auch in diesem Buch wieder, die Charaktere vor dem Auge des Lesers lebendig werden zu lassen. Für mich ist es immer wichtig, Gefühle für die Protagonisten zu entwickeln. Den einen mochte ich, den nächsten verabscheute ich, kaum einem stand ich indifferent gegenüber. Am Ende, als ich alle Fäden verknüpft hatte und das Bild sich gerundet hatte, war ich halbwegs zufrieden. Zwischendurch allerdings war ich teilweise nicht in der Lage zu erkennen, wie die Zusammenhänge des Erzählten zur Ursprungsgeschichte waren. Ich hätte gerne näher erfahren, wie es mit Pari und Abdullah weiterging. Dies erfährt man teils später im Rückblick, teilweise hatte ich gegen Ende den einen oder anderen Aha-Effekt und merkte, dass sie schon an anderer Stelle vorkamen, ich das nur nicht erkannt hatte.
Ich habe das Buch durchaus mit Freude gelesen, auch wenn ich mir manches Mal gewünscht hätte, es würde nicht so mäandern. Sobald ich eine Person ins Herz geschlossen hatte, verschwand sie für viele Seiten oder gar für immer. Nebenpersonen wurde viel Raum gegeben. Auch diese Geschichten fand ich interessant, aber auch sie wurden dann nicht weiterverfolgt, sondern die Fäden wieder fallengelassen und ich fragte mich, wie sie die Handlung vorangebracht hatten – besonders die Geschichte des griechischen Arztes führt arg weit weg. Ich denke, sie sollten eine gewisse Phase in der Geschichte Afghanistans darstellen oder einen ganz besonderen Fokus auf die Familiengeschichte reichten. So wurde deutlich, wie die Jahre vergehen, sich das Land verändert, aber gewisse Dinge auf den ersten Blick unabhängig davon zu bleiben scheinen (das Leben Nabis mit Herrn Wahdati). Teilweise erinnerte es mich an eine Sammlung von Kurzgeschichten, die rund um eine Grundhandlung kreisen. Während vergleichsweise viel von Pari berichtet wird, kam Abdullah für meinen Geschmack zu kurz. Zwar merkt man irgendwann, dass er indirekt erwähnt wurde, aber ich hätte seinen Weg schon gerne näher kennengelernt.
Ich finde, Hosseini hat zu vielen Protagonisten eine wichtige Rolle zugeschrieben. Mit den Zeitsprüngen kam ich gut zurecht, es hat mich aber ein wenig unbefriedigt zurückgelassen, von vielen nicht so viel erfahren zu haben, wie ich hätte wissen wollen. Die Geschichte zerfasert und der Leser erfährt nicht, wonach er eigentlich giert. Das Ende fand ich traurig und hätte es mir anders gewünscht, aber es war realistisch und glitt nicht in ein kitschiges Happy End ab.
Auch wenn ich mich insgesamt gut unterhalten fühlte, kommt das Buch an Drachenläufer nicht heran.
Khaled Hosseini: Traumsammler. Übersetzt von Henning Ahrens. Fischer 2013. Euro 19,99, 448 Seiten, ISBN 978-3-10-032910-3.
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