Malala Yousafzai: Ich bin Malala

Wahrscheinlich ist jedem der Name Malala ein Begriff, seit Taliban auf die pakistanische Schülerin geschossen haben, das sich für den Schulbesuch von Mädchen engagiert hat. Ich habe lange überlegt, ob ich auch schon vorher von ihr gehört habe. Ich denke ja, am Rande. Besonders viel habe ich von ihrem Bemühungen jedoch nicht gewusst. Gerade deshalb hat es mich sehr interessiert, etwas über die Hintergründe zu erfahren.

Zusammen mit einer britischen Journalistin hat sie ein Buch über ihre Geschichte geschrieben. Malala erzählt von ihrer Familie, der Herkunft ihrer Eltern, die fast nicht hätten heiraten dürfen, weil sich die Familien nicht verstanden. Besonders ihr Vater spielt eine wichtige Rolle in ihrem Bericht, denn er hatte es sich, obwohl mittellos, in den Kopf gesetzt, eine Schule zu gründen. Trotz aller Widrigkeiten, zuerst vor allem Geldmangel, später Schikanen der Taliban, hielt er immer daran fest und nahm auch Schüler auf, die das Schülgeld nicht bezahlen konnten. Von ihm hat Malala von Anfang an erfahren, wie wichtig Schulbildung ist, er hat sie in ihrem Engagement bestärkt, gefördert, aber auch dabei unterstützt, eine Rolle in der Öffentlichkeit einzunehmen. Dazu später mehr. Malala beschreibt auch das Leben ihrer Mutter, die niemals Lesen gelernt hat, weil sie die Schule nach kurzer Zeit abbrach. An ihr kann man besonders gut erkennen, wie sich das Leben nach der faktischen Machtergreifung veränderte.

Ausführlich geht Malala auf ihre Heimat ein, das Swat-Tal. Sie beschreibt seine abgelegene Lage, die dazu führte, dass es sich oft anders entwickelte als das restliche Pakistan. Sie erklärt die Traditionen und Gewohnheiten seiner Bewohner und versucht zu zeigen, warum die Islamisten dort viel erfolgreicher sein konnten als im Rest des Landes. Ihre Liebe zu ihrer Heimat, die sie vielleicht nie mehr wiedersehen wird – zumindest nicht so schnell–, scheint deutlich durch ihre Worte. Sie stellt auch die Geschichte Pakistans dar, von der ich bisher nur sehr wenig wusste. Ich stellte fest, dass in unseren Nachrichten auch vergleichsweise wenig von aktuellen Ereignissen berichtet wird. So wird im Buch behauptet, dass die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2010 mehr Opfer gefordert habe als der Tsunami 2004 und das Erdbeben von Haiti zusammen. Im Swat-Tal waren jedoch wohl nur wenig Helfer aus dem Ausland zu sehen, die pakistanische Regierung schaffte es nur in die größeren Orte, aber die Islamisten kämpften sich bis in die entlegensten Bergtäler durch und unterstützten die Menschen dort tatkräftig. Dies wird als eine wichtige Folge für das Erstarken der Islamisten gesehen. Wie viel wurde über den Tsunami und seine Folgen berichtet? Wie viel über das Erdbeben von Haiti? Ich erinnere mich, dass auch die Flutkatastrophe in Pakistan ein Nachrichtenthema war. Aber zumindest meiner Erinnerung nach wurde doch relativ wenig berichtet und ich glaube auch nicht, dass vergleichbare Hilfsaktionen angelaufen sind.

Das Buch beginnt mit dem Tag des Attentates, danach springt die Handlung zur Zeit vor Malalas Geburt. Relativ chronologisch, aber unterbrochen durch historische und politische Erläuterungen und Rückblicke auf die Geschichte ihrer Eltern, beschreibt sie ihre Kindheit und Jugend bis hin zu jenem furchtbaren Tag und auch der Zeit danach, in der sie um ihr Leben kämpfte.

Ich fand das Buch aus mehreren Gründen beeindruckend. Es führte mir vor Augen, wie wenig ich über Pakistan weiß. Mein Wissen beschränkte sich grob auf die Trennung von Indien und die Folgen des Bevölkerungsaustauschs, Benazir Bhutto und den Kampf der Amerikaner gegen versteckte Taliban. Knapp und verständlich werden die historischen Zusammenhänge erläutert. Sehr interessant fand ich Malalas Darstellung ihres Alltagslebens. Am Anfang war sie ein glückliches, unbeschwertes, aber ehrgeiziges Mädchen, das gerne mit seinen Freundinnen spielte, Bollywoodfilme und amerikanische Serien mochte. Doch dann gewannen die Taliban immer mehr an Einfluss im Swat-Tal. Es gab ständig neue Einschränkungen, vor allem für Frauen und Mädchen, ständig verlieren sie ein Stück mehr Freiheit, ein wenig mehr Rechte. Menschen, die andere Auffassungen vertreten oder sich „unangemessen“ verhalten, wie Tänzerinnen, werden zusammengeschlagen oder gar getötet. Und das, obwohl sich die Situation im Rest des Landes ganz anders darstellte. Dort wurde es beispielsweise gar nicht infrage gestellt, dass Mädchen in die Schule gehen sollen. Wie sich die Schlinge immer mehr zuzieht, diese Darstellungen erinnerten mich an die Berichte von Juden im Nazideutschland: Jeden Tag muss man damit rechnen, dass wieder etwas anderes verboten wird, dass jemand verrät, was man Verbotenes getan hat.

Malala begann, anonym ein Blog zu schreiben, dabei hatte die Familie gar keinen Internetzugang. Die Texte wurden telefonisch an eine Bekannte durchgegeben. Später nahm der Vater das Mädchen mit zu Fernsehinterviews und plötzlich wollte niemand mehr ihn hören, alle waren an seiner Tochter interessiert. Sie hielt Reden, gab Interviews, erhielt Auszeichnungen und war natürlich den Taliban ein Dorn im Auge. Viele fürchten um die Sicherheit von Malalas Vater, doch fälschlicherweise gingen alle davon aus, dass einem Kind nichts geschehen wird.

Interessant war für mich auch zu erfahren, wie die Pakistaner über verschiedene Angriffe der Amerikaner, nicht zuletzt über die Tötung von Osama Bin Laden denken. Es herrscht kein Krieg, aber ein fremdes Volk kann einfach Drohnen über die Landesgrenzen schicken, um irgendwelche Leute umzubringen? Ja, ich kann nachvollziehen, dass das die Pakistaner erregt und selbst liberal eingestellte Menschen zornig macht – und damit radikalen Gruppen in die Hände spielt.

Manchmal war ich ein wenig erschrocken darüber, wie sehr das Mädchen instrumentalisiert wurde und wird. Ich kann einfach nicht glauben, dass das wirklich alles von ihr ausging, einem anfangs neunjährigen Kind. Im Buch erwähnt sie mehrfach, dass manche Menschen ihrem Vater die Schuld an ihrem Schicksal geben, weil er sie immer wieder in die Öffentlichkeit gestellt hat. Sie weist das jedoch weit von sich. Ein Urteil mag sich jeder selber bilden, der das Buch liest.

Es gab auch einige Passagen, an denen ich ein wenig Unbehagen empfand oder die auf mich einen gekünstelten, nicht ganz ehrlichen Eindruck machten. Einige Stellen schienen sich auch etwas zu widersprechen. Aber gut, wer hat in seinem Leben nichts erlebt, was er lieber unter den Tisch fallen ließe oder etwas schönt? Wer kann von sich sagen, dass er eine Erinnerung immer exakt gleich wiedergibt?

Was mich gelegentlich sehr gestört hat, war die schlampige Textbearbeitung. Das sage ich nicht, weil ich Lektorin bin. In den meisten Büchern entdecke ich den einen oder anderen Fehlern und sage nichts dazu, schließlich kann jeder etwas übersehen (ich auch). Hier jedoch kommt es mehrfach vor, dass ein Absatz mit demselben Satz beginnt und endet. Vielleicht ist er ein bisschen umgestellt, aber der Inhalt wiederholt sich. So etwas passiert, wenn im Text noch einmal etwas umgebaut wird und man die alte Formulierung nicht löscht. Das kann einmal passieren, aber vier- oder fünfmal? Nein.

Insgesamt war es eine spannende, wenn auch gelegentlich zwiespältige Lektüre. Es lohnt sich auf jeden Fall, das Leben dieses Mädchens kennenzulernen.

Cover_Malala

Malala Yousafzai mit Christina Lamb: Ich bin Malala. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft. Droemer 2013. 400 Seiten, Euro 19,99, ISBN 978-3-426-27629-7.

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