Über eine Million Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland, darunter eine hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen in schulpflichtigem Alter. Dazu kommen viele junge Menschen, die zwar nicht mehr schulpflichtig sind, aber keinen Schulabschluss haben oder nachweisen können und denen es an den Deutschkenntnissen und anderen Qualifikationen fehlt, um ein Studium oder eine Berufsausbildung beginnen zu können.
Dieses Buch ist eine Bestandsaufnahme, die zeigt, wie es um den Bildungszugang für Flüchtlinge, die in Deutschland, der Schweiz und Österreich Schutz suchen, bestellt ist. Es will Lehrkräften und allen anderen Pädagoginnen und Pädagogen Mut machen, sich der Herausforderung zu stellen, Kinder und Jugendliche aus einer fremden Kultur mit einer manchmal traumatischen Vergangenheit bei uns willkommen zu heißen und ihnen Werkzeuge mit auf den Weg zu geben, mit denen sie hier ein neues Leben mit mündiger Teilhabe an der Gesellschaft beginnen können. (aus dem Vorwort)
Im ersten Kapitel, Die Situation der Zugewanderten, erhalten die Leser zunächst einmal grundlegende Informationen, zum Beispiel zu Zahl und Bildungsstand der Zugewanderten. Danach werden in Das Grundrecht auf Schulbesuch – auch für Flüchtlinge die gesetzlichen Grundlagen für die Schulpflicht in Deutschland erläutert. Mit diesem theoretischen Unterbau werden in der Folge die Themen Deutsch als Zweitsprache, Integration durch Bildung und Flüchtlinge in den Berufsschulen behandelt. Hier wird jeweils gezeigt, vor welchen Herausforderungen die Lehrkräfte stehen, welche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten es für sie gibt und welche Projekte bisher besonders gut funktionieren. In den nächsten Kapiteln werden Maßnahmen von Bund und Ländern vorgestellt, gezeigt, Wie außerschulische Kooperationspartner die Integration unterstützen und wie Lehrkräfte Mit traumatischen Erfahrungen umgehen. Danach folgt der Blick über den Tellerrand in die Schweiz und nach Österreich. Abschließend geht ein Appell an die Entscheider: Was Politik tun muss. In jedem Kapitel wird ein Projekt näher vorgestellt, das zeigt, wie einzelne Schulen oder Bildungsträger mit manchen Problemen oder Herausforderungen umgehen und wie sie sie erfolgreich gelöst haben.
Ich finde dieses Buch in zweifacher Hinsicht sehr interessant und hilfreich: Zum einen stellt es die aktuelle Lage dar, nennt Zahlen und Fakten und erklärt die rechtlichen Rahmenbedingungen. Und dann zeigt es, was an einzelnen Orten bereits erfolgreich auf die Beine gestellt wurde. Diese Beispiele können andere inspirieren, denn das Rad muss ja nicht überall neu erfunden werden. Die Autoren zögern auch nicht, auf Probleme hinzuweisen und immer wieder anzusprechen, was unbedingt erforderlich ist: Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Lehrkräfte, aber vor allem auch Geld. Integration könne nur durch ausreichende Bildung und berufliche Chancen gelingen, dafür müsse Geld investiert werden. Dies sei jedoch viel billiger, als später mit Massen Massen von jungen Menschen ohne Ausbildung, Arbeit und Zukunftschancen fertigzuwerden.
Die Autoren vertreten eine optimistische Grundhaltung, dass die Integration der neuen Schüler möglich ist und auch Ältere mit fehlender Bildung fit für unsere Arbeitswelt gemacht werden können.
Bildungsberater Wilfried Steinert kann die Sorge vieler pädagogischer Fachkräfte verstehen, die häufig erst einmal gar nicht genau wissen, wie sie mit den neuen Anforderungen umgehen sollen. „Viele haben erst einmal Angst, aus den gewohnten Mustern rausgeworfen zu werden und etwas verändern zu müssen, was vertraut ist“, sagt Steinert. Dabei könne man schon mal vergessen, „dass diese Veränderung eigentlich die Chance für eine Neugestaltung ist – die Chance für Innovation, für Weiterentwicklung!“ (…) Die Zuwanderung, sagt Steinert, sei deshalb eine der größten Chancen für Veränderung, die es für das häufig verknöcherte Bildungssystem seit langer, langer Zeit gebe.
Ich muss zugeben, dass mir diese Begeisterung zwar einerseits sympathisch ist, andererseits übertrieben scheint. Wenn alles, was geplant wird, so klappen würde, ja dann …. Aber es funktioniert leider nicht überall so gut wie in den gezeigten Beispielen. Ein einziges ist dabei, bei dem die Schwierigkeiten einer Grundschullehrerin mit einer Schülerin geschildert werden, die sich rassistisch äußert. Ich denke, da gibt es ganz andere Schulen, vor allem mit älteren Schülern, in der solche und ähnliche Probleme in viel größerem Umfang auftreten. Auch schaffen es bei Weitem nicht alle Jugendlichen, an solch tollen Projekten teilzunehmen. Gerade diejenigen, die nicht mehr schulpflichtig sind, fallen oft hintenrunter, weil gar keine Plätze an den Berufsschulen frei sind. Teilweise bekommen die jungen Leute wenige Stunden Deutschunterricht statt Intensivkursen. Vieles wird auch von Ehrenamtlichen aufgefangen, die hier nur in Projektbeispielen am Rande erwähnt werden, weil die Schulen, Bildungsträger und die Politik teilweise schlichtweg überfordert waren oder sind. Auch laufen die meisten dieser Projekte noch nicht lange. In der Praxis ist es aber leider oft so, dass die Motivation nicht über Monate oder gar Jahre hoch bleibt. Wie ja auch erwähnt wird, sind viele Kinder und Jugendliche traumatisiert, sie bangen um Verwandte, die in den Herkunftsländern in Lebensgefahr sind, hören Berichte über Bombardierungen und Attentate in ihrer Heimat, sie können schlecht schlafen und sind unkonzentriert. Auch reichen die Deutschkenntnisse, die im Alltag schon recht solide wirken, häufig nicht für die komplizierte Fachsprache in der Ausbildung aus.
Aber gerade, weil es in der Praxis eben nicht überall so gut klappt, ist ein Buch wie dieses so wichtig. Zum einen kann sich jeder leicht über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren, vor allem aber können die Projektbeispiele Anregungen für neue Projekte an anderen Orten bringen, um in hoffentlich naher Zukunft möglichst vielen ordentliche Sprachkenntnisse und Schulabschlüsse zu ermöglichen.
Der Aufgabenzettel für die Bildungs- und Finanzpolitiker ist also lang. Und er enthält noch einen weiteren wichtigen Punkt, der fast so etwas wie eine Zukunftsvision darstellt: die Forderung nach gleichen Bedingungen – egal, wo ein Schüler oder eine Schülerin mit Fluchtgeschichte den Unterricht verbringt. (S. 158)
Natürlich ist dies eine richtige und wichtige Forderung, aber in meinen Augen utopisch. Schließlich ist bekannt, wie groß die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern auch für deutsche Schüler sind.
Fazit: Insgesamt eine inspirierende Lektüre mit vielen Anregungen für alle, die sich für die schulische Ausbildung von Flüchtlingen interessieren, vor allem für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitungen, Bildungsträger und Politiker.
Armin Himmelrath, Katharina Blaß: Die Flüchtlinge sind da! Wie zugewanderte Kinder und Jugendliche unsere Schulen verändern – und verbessern. Hep 2016. 160 Seiten, Euro 19,00, ISBN 978-3-0355-0642-6.
Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – und in jeder Buchhandlung.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Mich hat interessiert, ob Autor und Autorin aus der Schulpraxis heraus schreiben. Nein, (natürlich nicht). Die Welt der Schule als Wille und Vorstellung?
Die Autoren sind beide Journalisten. Nein, sie schreiben nicht aus der Praxis, haben aber mit sehr vielen Menschen gesprochen und zahlreiche Projekte besucht. Das sind natürlich Momentaufnahmen. Der Alltag sieht vielerorts anders aus.
Eben. Als Außenstehende können sie eine optimistische oder pessimistische Haltung einnehmen.