Geschehen im Internet: Eine Texterin entdeckt die Internetseite einer Kollegin und stellt fest, dass der Text wortwörtlich von ihrer eigenen Website kopiert wurde. Nun werden im Internet täglich Texte gestohlen. Werden die angeblichen Autoren darauf angesprochen reden sie sich häufig heraus, dass sie nicht gewusst hätten, dass das verboten ist, dass sie den Text nur als Platzhalter verwenden wollten, bis eigene Texte fertig sind oder dass sie die Texte einfach so toll fanden. Unwissenheit macht es natürlich nicht besser. In diesem Fall aber war die Diebin sogar selber Texterin. Da müsste man ja nicht nur annehmen, dass sie selber schreiben kann. Eine Texterin sollte auch wissen, aus eigener Erfahrung, dass man als Texter davon lebt, Texte zu verkaufen.
Es kommt zu einem Verfahren. Da die Textdiebin zugibt, dass sie den Text gestohlen hat, sollte der Ausgang eigentlich klar sein. Allerdings ist die Sache nicht so einfach, wie sie zunächst aussieht. Das Problem ist, dass der Richter zunächst prüft, ob der Text die nötige Schöpfungshöhe erreicht hat. Sprich: ob ein Schüler das nicht im Aufsatz genauso gut hinbekommen hätte. Um das herauszufinden, zerpflückt er den Text und betrachtet ihn Satz für Satz. Das Ergebnis: Der Richter weist die nötige Schöpfungshöhe zurück, weil jeder diese Sätzehätte schreiben können.
Wie funktioniert unsere Sprache? Man nimmt Worte, setzt sie zusammen zu Sätzen, die man wiederum zu längeren Texten zusammenfügt. Das einzelne Wort wird milliardenfach verwendet, der Satz mag millionenfach vorkommen, aber der entstandene Text ist am Ende wahrscheinlich einzigartig. „Doch warum gehst du nicht durch’s Fenster“, fragt Faust den Mephistopheles in Faust I. Ein ganz normaler deutscher Fragesatz, an dem nichts Ungewöhliches ist. Er könnte schon tausende Male so formuliert worden sein. Bedeutsam ist er nur in seinem Umfeld, im Rahmen der Wörter und Sätze, die ihn umgeben. Sicherlich käme kein Richter auf den Gedanken, Goethe für seinen Faust die Schöpfungshöhe absprechen zu wollen. Ähnlich ist es in der Werbung. An den Sätzen „Nichts ist unmöglich“, „Ich liebe es“ oder „Wir machen den Weg frei“ ist zunächst einmal nichts Originelles. Erst im Zusammenhang mit einer Marke werden sie zu etwas Speziellem.
Und genau so ist es mit den Texten, die ein Texter produziert, für seine eigene Website, seinen Blog, für die Pressemeldung eines Kunden, für eine Werbebroschüre. Nicht umsonst werden gute Texter gut bezahlt, die Kunden wissen um den Nutzen, den ihnen ein guter Text bringt – im besten Fall viele Kunden. Da scheint es nur natürlich, dass der Text, für den eine Person hart gearbeitet, womöglich eine zweite Person viel bezahlt hat, nicht einfach von jedem für eigene Zwecke verwendet werden darf.
Wie ging es weiter? Die Texterin zog die Klage zurück und klagte vor einem anderen Gericht erneut. Der zuständige Richter zerpflückte den Text nicht, sondern betrachtete ihn in seinem Gesamtzusammenhang – und erkannte eindeutig die nötige Schöpfungshöhe. Zwar kam es nicht zu einem Urteil, sondern zu einem Vergleich, aber die Texterin bekam eindeutig Recht und erhielt Schadensersatz.
Auch wenn es nur ein „kleiner Vergleich“ ist, für alle, die schreiben und Texte veröffentlichen, ist das wichtiger Schritt und schöner Erfolg. Schreiben ist eine schöpferische Tätigkeit, im Ergebnis steckt unter Umständen viel harte Arbeit. Es kann nicht sein, dass das Internet ein Selbstbedienungsladen ist, wo sich jeder nimmt, was er gerade gebrauchen kann. Und das gilt auch für Werbetexte, nicht nur für Romane à la Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“.
Wer wissen will, was die betroffene Texterin zu ihrem Erfolgt sagt, siehe hier: https://www.textblog.de
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Vor vielen Jahren hat mir mal ein renommierter Autor gesagt, dass dieses „Textklauen“ ein Ammenmärchen sei. Ich habe immer gewusst, dass auch Ammenmärchen Wahrheiten enthalten. Leider. Es wurde schon immer geklaut und es wird sich auch nichts ändern. Wer kein Rechtsempfinden hat, macht weiter. Gut jedoch, dass nicht alle klein beigeben, sondern für ihren Text und ihr Recht kämpfen!
Ammenmärchen? Mein Eindruck ist eher, dass das ständig vorkommt und oft als Kavaliersdelikt betrachtet wird, zumindest bei Gebrauchstexten.
Ammenmärchen? Das verstehe ich nun allerdings nicht.
Danke für den tollen Kommmentar, Daniela!
PS: Vielleicht kannst du auch den Permalink zum Verlinken nehmen, dann findet man mein Originalposting auch in ein paar Woche noch … 🙂
https://www.textblog.de/index.php/notizen/comments/warum-klau-und-klau-nicht-dasselbe-sind.-und-warum-sich-klauen-dennoch-nich/
Gute Idee und schon erledigt!