Der Icherzähler studiert in Paris, München und Berlin, wo er schließlich wegen eines Angriffs auf den Uni-Präsidenten exmatrikuliert wird. Ohne Studienabschluss steht er nun zunächst mittellos da und muss sich mit Jobs, beispielsweise als Paketfahrer, über Wasser halten. Zum Glück gibt es aber noch eine wohlhabende Tante in Frankreich, die ihn immer wieder mit größeren Beträgen unterstützt. Er muss sich überlegen, wie er in Zukunft für seinen Lebensunterhalt sorgen will. Zu diesem Zweck lässt er sich ein Projekt nach dem anderen einfallen, eröffnet ein Unternehmen nach dem anderen. Meist sind diese relativ minimalistisch, oft künstlerisch, obwohl es genau das ist, was er nach eigenem Bekunden auf keinen Fall sein möchte: ein Künstler. Für viele dieser Projekte schreibt er Briefe mit der Bitte um Unterstützung an staatliche Stellen, wenn er überhaupt eine Antwort darauf erhält, dann ist sie negativ.
Eines seiner ersten Projekte ist die Eröffnung der Wissenschaftsakademie Berlin, wo man nach einer Sitzung einen Schein erhält. Wirtschaftlich erfolgreich ist auch das Möbelhaus Horzon, in dem es nur ein einziges Produkt gibt, ein Regal. Er strebt Minimalismus an, wo es um Möbel oder Sprache geht, nicht allerdings bei den Eröffnungsveranstaltungen, die er für jedes Unternehmen veranstaltet und die immer bombastischer werden.
Schaue ich mir diese Darstellung an, hätte das eigentlich ein interessantes, spannendes, lustiges Buch sein können. Warum ist es dem Autor dennoch nicht gelungen, mich mit seiner Schilderung zu fesseln und zu überzeugen?
Im Fall einer Biografie ist der Autor üblicherweise mit dem Icherzähler gleichzusetzen, wobei selbstverständlich klar ist, dass der Leser immer nur des Autors begrenzte und subjektive Sicht auf die Welt erfährt. Obwohl es nun schon Tage her ist, dass ich dieses Buch beendet habe, bin ich mir immer noch im Unklaren darüber, wie ich es einordnen soll, wie viel Glauben ich den geschilderten Ereignissen schenken soll. Ein Teil davon ist belegbar und kann überprüft werden, von daher wäre es sicherlich falsch, die Darstellung als Fiktion einzuordnen. Viele Erlebnisse haben einen surrealen Charakter, der Leser zweifelt ständig, ob sich alles wirklich so ereignet hat. Obwohl viele Projekte anhand von Internetseiten nachvollziehbar sind, blieb zumindest bei mir immer das Gefühl, dass das ganze Buch ein einziges Fake ist. Das Buch hat teilweise einen surrealen Charakter. Der Icherzähler wurde mir mit dem Fortgang des Berichts zunehmend unsympathischer, seine Handlungen immer weniger nachvollziehbar. Er machte auf mich den Eindruck, in einer Traumwelt zu leben (oder einer Rauschwelt). Seine Ablehnung der Kunstszene Berlins war für mich nicht nachvollziehbar, denn vieles von dem, was er macht, ist in meinen Augen eindeutig Kunst. Das Buch ist meines Erachtens Teil seines großen Projektes, dem alle anderen Projekte untergeordnet sind: ein ICH-Projekt.
Hervorzuheben ist die Ausstattung des Buches. Ganz schlicht, komplett weiß, die Buchstaben eingestanzt, was auch die Haptik anspricht: wunderschön. Leider konnte der Inhalt nicht mithalten.
Rafael Horzon: das weiße Buch, suhrkamp 2010, 218 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Euro 15,-, ISBN 978-3518462263
Ich danke lovelybooks und dem Suhrkamp-Verlag für das Leseexemplar.