Nonna Lisowskaja stammt aus einer wohlhabenden russischen Familie. Der Großvater war Kosake, der Vater Großgrundbesitzer mit großen Häusern an vielen verschiedenen Orten. Nach seinem Tod muss Nonnas Großmutter ihre Kinder jedoch alleine großziehen. Nonnas Mutter heiratet einen aus Polen stammenden Dolmetscher. Sie führen das Leben wohlhabender Menschen, auch wenn sie die zunehmenden Repressionen in der Sowjetunion der 30er Jahre zu spüren bekommen. Nonna hat eine schöne Kindheit, am meisten genießt sie die Zeit im großen Haus ihrer Großmutter in der Ukraine.
Als der Krieg ausbricht, geraten sie zwischen die Fronten. Die zurückziehenden Russen wollen verbrannte Erde hinterlassen. Wer ihnen nicht folgt, gilt als Verräter. Die heranrückenden Deutschen sind brutal, leiden unter der Kälte und dem Hunger. Nonnas Großfamilie wird auseinandergerissen, viele kommen ums Leben. Dann steht zu befürchten, dass die Deutschen sich zurückziehen müssen und die Russen sich an den „Verrätern“ rächen werden. Nonnas Mutter sieht keinen anderen Ausweg, als sich und ihre Tochter als Fremdarbeiter zu melden und nach Deutschland trransportieren zu lassen. Schon auf der Fahrt erleben sie Schreckliches und auch die Zeit in Deutschland wird sehr hart. Doch Nonna schafft es, ihre Tagebücher und einige Fotos in einem Kissenbezug zu verstecken und so zu retten. Erst als alte Frau setzt sie sich wieder damit auseinander und schreibt ihre Erlebnisse auf.
Nonnas Geschichte ist sehr interessant. Schon ihre Kindheit und Jugend waren recht ungewöhnlich, wenn auch sicherlich vieles typisch für reiche russische Familien war. Während ihres Aufenthaltes als Zwangsarbeiterin in Deutschland erlebt sie viele Härten, erfährt aber auch Hilfe. Ihr Leben war es eindeutig wert, aufgeschrieben zu werden. Trotzdem hat es das Buch nicht vermocht, mich so zu fesseln, wie es der Stoff möglich gemacht hätte. Vielleicht liegt es teilweise an der Kürze der Tagebucheinträge in Deutschland, vielleicht aber auch daran, dass Nonna selber die Texte aus der Distanz des Alters übersetzt hat – viele Einträge waren auf bloße Fakten beschränkt, Gefühle kommen weniger zum Ausdruck. Vielleicht kommt die Distanz aber auch von den Kommentaren und Erläuterungen, die häufig an unpassender Stelle die Tagebucheinträge unterbrechen. Teilweise fassen sie lediglich zusammen, was der Leser gerade gelesen hat, nur ergänzt um einen kleinen Hinweis (dafür hätten sich Fußnoten geeignet), teilweise greifen sie vor und erwähnen ein Ereignis, das erst später im Tagebuch geschildert wird. Ich empfand sie häufig als störend. Die Erläuterung der geschichtlichen Hintergründe dagegen war teilweise sehr hilfreich, hätte jedoch besser gesammelt in einem Vor- oder Nachwort erfolgen sollen. Nonnas Leben war ungewöhnlich und berührend, jedoch ist die Aufbereitung nicht so gut gelungen: Entweder weniger oder mehr wäre vonnöten gewesen. Sehr interessant der umfassende Bild- und Dokumentationsteil. Trotz der Kritik ein lesenswertes Buch, weil es einen bisher wenig dargestellten Teil der Geschichte verstehbar macht.
Nonna Bannister: Das geheime Tagebuch der Nonna Lisowskaja. Francke 2010, 288 Seiten, Euro 14,95, ISBN: 978-3-86827-152-2