Gina Mayer: Das Maikäfermädchen

In Düsseldorf mangelt es nach dem Krieg an Wohnraum und Lebensmitteln. Deswegen lässt sich die Hebamme Käthe, die im Dachgeschoss eines baufälligen Hauses untergekommen ist, auch nur in Naturalien bezahlen. Trotzdem hat sie ständig Hunger. Eines Tages wird sie von einer verzweifelten jungen Frau, fast noch ein Kind, aufgesucht, die sie bittet, eine Abtreibung bei ihr vorzunehmen. Sie beantwortet Käthes Fragen nicht, sondern singt immerzu das Lied „Maikäfer flieg“ vor sich hin. Ein Abtreibung? Das widerspricht allen moralischen Grundsätzen Käthes, aber die junge Frau bietet ihr einen Pelzmantel als Bezahlung an. Was sie dafür auf dem Schwarzmarkt bekommen könnte …

Einige Zeit später trifft Käthe eine ehemalige Kollegin, die Kinderkrankenschwester Lilo, die als Trümmerfrau arbeitet, um ihre Familie zu ernähren. Lilos Mann, beider früherer Chef, kann nicht mehr als Arzt praktizieren, da seine Hände zittern. Lilo hat die Idee für eine Unternehmung, die ihrer aller Lebensunterhalt sichern soll: eine Abtreibungspraxis. Das ist natürlich illegal und gefährlich. Trotz eines permanenten schlechten Gewissens lässt sie Käthe auf die Sache ein.

Sehr gut arbeitet der Roman die Psyche der beiden Protagonistinnen heraus: Käthe, die jeden Tag einen Spruch in der Bibel als Motto des Tages liest, auf ihren vermissten Mann wartet und ständig mit dem Widerstreit zwischen Moralvorstellungen und dem Wunsch nach einem besseren Leben kämpft und die lebenslustige Lilo, die wenig Skrupel kennt, wenn es darum geht, ihre Familie durchzubringen und sich endlich wieder sattzuessen. Die Härten der Nachkriegszeit lassen sich gut nachvollziehen, das Verständnis für die Frauen, sie sich aus den verschiedensten Gründen außerstande fühlen, ein Kind großzuziehen, ist groß. Obwohl ich sagen muss, dass mir das Thema an sich Probleme bereitet hat, weil ich so genau nun wirklich nicht hatte wissen wollen, wie eine Abtreibung abläuft, war ich doch von Anfang an von der Geschichte gefesselt. Sie zeigt, wie weit die Menschen zu gehen bereit sind, wenn sie verzweifelt sind.

Während die meisten Romane mit dem Ende des 2. Weltkrieges beendet sind, wird hier genau die schwierige Zeit vor der Währungsreform beschrieben, als die Deutschen neben dem täglichen Kampf ums Überleben auch mit ihrer Schuld, mit ihrem Anteil an den Untaten der Nazis fertigwerden mussten. Dies geschieht sehr eingänglich. Im Rückblick erfährt der Leser auch, was die Protagonisten und ihre Bekannten während des Nazi-Regimes erlebt haben, sodass die Figuren rund werden und ihr Verhalten verständlich wird.

Einige überraschenden Wendungen sorgten dafür, dass der Roman niemals langweilig wurde. Eine spannende Lektüre, die mich sehr nachdenklich zurückließ.

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Gina Mayer: Das Maikäfermädchen, rütten & loening 2012. 368 Seiten, Euro 16,99, ISBN 978-3-352-00843-6 bei amazon

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