Leymah R. Gbowee: Wir sind die Macht

Leymah Gbowee wächst in einer Großfamilie in Liberias Hauptstadt Monrovia auf. Sie hat eine relativ behütete Kindheit, ist eine hervorragende und ehrgeizige Schülerin. Nach ihrem Highschoolabschluss möchte sie Medizin studieren. Doch kaum hat sie ihre ersten Tage an der Universität hinter sich, bricht der Bürgerkrieg aus. Von einem Tag auf den anderen wird die junge Frau mit Gewalt, Hunger und Leid konfrontiert. Die Familie flüchtet nach Ghana und lebt dort in einem Flüchtlingscamp. Als sich die Lage daheim zu verbessern scheint, kehrt Leymah nach Monrovia zurück. Doch Strom- und Wasserleitungen sind zerstört, ebenso wie viele Häuser, es gibt keine Arbeit, Lebensmittel sind schwierig aufzutreiben. Sie flüchtet sich in eine Beziehung zu einem verheirateten Mann, bekommt ein Kind nach dem anderen und lässt zu, dass ihr Partner sie schlägt, überwacht und schikaniert. Aus der lebenslustigen und energischen jungen Frau ist ein verschüchtertes Wesen geworden. Doch schließlich bricht sie aus der Beziehung aus und versucht, die Kinder mit der Hilfe ihrer Eltern alleine durchzubringen. Sie sucht Arbeit und findet eine Stelle, bei der sie traumatisierten ehemaligen Kindersoldaten helfen soll, in ein normales Leben zurückzufinden. Währenddessen flammt der Bürgerkrieg immer wieder neu auf, Regierungssoldaten und Rebellen sind nicht zu unterscheiden und jeder Schritt in der Öffentlichkeit ist eine Gefahr. Durch ihre Arbeit kommt Leymah Gbowee aus der Hauptstadt heraus und sieht, dass die Situation auf dem Land noch viel schlimmer ist.

Sie bildet sich weiter, gewinnt an Selbstvertrauen und gründet schließlich ein Frauennetzwerk. Die Frauen Liberias sind verbittert: Sie müssen mitansehen, dass ihre Kinder verhungern, dass ihre Töchter (und sie selbst) vergewaltigt werden, dass die Söhne entführt und als Kindersoldaten missbraucht werden, bis sich brutale Tötungsmaschinen werden, dass ihre Häuser zerstört werden und niemand Arbeit hat. Immer wieder haben sie Hoffnung auf Frieden, doch es zeigt sich, dass die verschiedenen Bürgerkriegspartien viele Interessen haben, doch Frieden gehört nicht dazu. Gbowee und ihre Mitstreiterinnen ermuntern die Frauen, die Opferrolle aufzugeben und sich für ihre Interessen einzusetzen. Sie beginnen zu demonstrieren, treffen sich täglich und fordern Frieden. Schließlich spricht Präsident Taylor mit ihnen, sie werden in die Friedensverhandlungen einbezogen und haben großen Anteil an der Befriedung des Landes.

Gbowee steht oft am Rande ihrer seelischen und körperlichen Leistungsfähigkeit, doch sie rappelt sich immer wieder auf. Sie studiert schließlich doch noch und setzt sich dafür ein, dass auch viele andere Frauen Ausbildung und Arbeit bekommen. 2011 wird ihr der Friedensnobelpreis verliehen.

Die Biografie von Leymah Gbowee ist nicht immer einfach zu lesen. Ihr Leben ist geprägt von Gewalt, Terror und vielen traumatischen Erfahrungen. Doch es ist bewundernswert, wie sie sich immer wieder aufrappelt und weiterkämpft. Dabei muss sie auf viel verzichten, beispielsweise leben ihre Kinder viele Jahre ohne sie im Ausland. Durch ihre Hartnäckigkeit kann sie die Situation vieler Menschen in Liberia verbessern und trägt maßgeblich mit dazu bei, dass Präsident Taylor schließlich aufgibt und Ellen Johnson Sirleaf, die zusammen mit ihr den Nobelpreis bekommen hat, an die Macht kommt. Sie ist keine makellose Heldin, sondern hat so manche Entscheidung in ihrem Leben getroffen, die man im Nachhinein falsch findet.

Der Leser kann anhand von Gbowees Biografie die Geschichte Liberias während des vierzehnjährigen Bürgerkrieges aus den Augen einer Betroffenen nachvollziehen. Sie berichtet von den Kämpfen und Greueltaten und den endlosen, üblicherweise ergebnislosen Friedensverhandlungen ebenso wie von ihrem persönlichen und politischen Weg. Mir war es häufig unverständlich, woher diese Frau die Kraft genommen hat, wieder und wieder aufzustehen und weiterzukämpfen, wenn sie ganz unten war. Es ist beeindruckend, wie sie es geschafft hat, immer mehr Mitstreiterinnen zu mobilisieren und schließlich eine große Frauenbewegung auf die Beine zu stellen. Die persönlichen Opfer, die sie dafür gebracht hat, taten mir teilweise weh, aber ich konnte auch nachvollziehen, dass sie erreichen wollte, dass ihre Kinder schließlich wieder in einem friedlichen Land leben können. Ohnehin bin ich der Meinung, viel zu wenig über Afrika zu wissen. Dieses Buch hat mir einen wichtigen Abschnitt aus der Geschichte Liberias nähergebracht, ein Land, das mir nahezu unbekannt war.

Ein beeindruckendes, bewegendes und, wie ich finde, wichtiges Buch!

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Leymah R. Gbowee unter Mitarbeit von Carol Mithers: Wir sind die Macht. Die bewegende Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin. Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta 2012. 319 Seiten, Tafelteil mit 9 Farbabbildungen, Euro 21,95, ISBN 978-3-608-94739-7.

Eine Leseprobe und das Inhaltsverzeichnis gibt es hier beim Verlag.

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