Irmgard Litten: Trotz der Tränen

Hans Litten war Jurist im Berlin der 30er-Jahre. Er verteidigte zunehmend Menschen, die mit den aufstrebenden Nationalsozialisten aneinander geraten waren, viele Sozialisten und Kommunisten, auch die Opfer des SA-Sturmes von 1933. Dabei war er unermüdlich auf der Suche nach der Wahrheit und schaffte es so, dass viele seiner Mandanten freigesprochen wurden oder deutlich geringere Strafen bekamen als von der Staatsanwaltschaft zunächst gefordert. Mit seinem Verhalten machte er sich allerdings Feinde. Er besiegelte sein Schicksal – was damals niemand ahnen konnte–, als er 1931 Adolf Hitler in den Zeugenstand lud und in die Enge trieb. Hitler schwor auf die Verfassung und verhedderte sich anschließend in Lügen. Das vergaß Hitler ihm nie.

1933 wurde Litten, wie viele andere Juristen auch, verhaftet. Während manche Kollegen nach einiger Zeit wieder freikamen, scheiterten alle Versuche, Litten freizubekommen, an Hitler. Fünf Jahre verbrachte Litten in verschiedenen Gefängnissen und später auch KZ, darunter Buchenwald und Dachau. Manchmal, vor allem anfangs, durfte er lesen und schreiben, teilweise musste er trotz angeschlagener Gesundheit hart arbeiten. Er wurde gefoltert und gedemütigt, bis er sich schließlich 1938 in Dachau das Leben nahm. Seine Mutter Irmgard Litten setzte all die Jahre alle Hebel in Bewegung, um ihren Sohn freizubekommen. Sie hatte viele Kontakte, die sie nutzte, denen sie immer wieder auf die Nerven ging. So erreichte sie es, dass sie ihren Sohn phasenweise halbjährlich besuchen durfte. Sogar einen Besuch in Dachau setzte sie durch.

In ihrem Bericht schildert Irmgard Litten all ihre Versuche, ihren Sohn Hans freizubekommen. Sie berichtet, wem sie geschrieben hat, mit wem sie sprach, welche Antworten sie bekam. Aber auch, was sie durch Hans und durch entlassene Mithäftlinge über seine Behandlung und die Haftbedingungen im Allgemeinen erfahren hat und was sie bei ihren Besuchen sah. Durch ihre Hartnäckigkeit hat sie Einblicke erhalten, die anderen verwehrt blieben.

Mein Höreindruck ist zweigeteilt. Dem zweifellos wichtigen Vorwort von Rudolf Olden zuzuhören, fand ich schwierig. Ich habe mehrfach wieder von vorne angefangen, bis ich es endlich bei einer Autofahrt in einem Rutsch anhörte und dann auch bei der Stange blieb. Es ist eben nicht fürs Anhören geschrieben worden, der Verfasser war Jurist und drückt sich nicht immer ganz einfach aus. (Er starb, als sein Schiff, mit dem er emigrieren wollte, torpediert wurde.) Im Vorwort wird Hans Littens Arbeit vor seiner Festnahme geschildet, es ist also wichtig fürs Verständnis, konnte mich aber einfach nicht fesseln. Dann folgt Irmgard Littens Bericht, der mich von Anfang an nicht mehr losließ. Es ist sehr berührend, wie unermüdlich diese Mutter für die Freilassung ihres Sohnes kämpfte. Ihr war dabei sehr wohl bewusst, dass sie sich und ihre anderen Söhne in Gefahr brachte, aber das konnte sie nicht aufhalten. Mehrfach suchte sie beispielsweise den Kontakt zu Goebbels Geliebter, die sich wohl tatsächlich bei ihm für Litten einsetzte, aber scheinbar konnte selbst Goebbels in dieser Angelegenheit nichts erreichen. Irmgard Litten besuchte ihren Sohn in mehreren Gefängnissen und konnte selber sehen, dass er geschlagen und gefoltert worden war. So konnte sie energisch widersprechen, wenn ihr von offizieller Seite gesagt wurde, dass so etwas nicht vorkäme. Ohne eigenen Augenschein hätte sie all die Beschwichtigungen, die ihr erzählt wurden, womöglich geglaubt, so wusste sie von Anfang an, dass sie belogen wird. Ich war fasziniert von dieser starken, kämpferischen Frau, die ihren Sohn keine Minute aufgegeben hat – nicht einmal nach seinem Tod, als sie die Herausgabe seiner Leiche durchsetzte, sodass sie ihn beerdigen konnte.

Das Vorwort wird von Johannes Steck gesprochen, die Briefzitate Hans Littens von Gert Heidenreich und den Text Irmgard Littens von Patricia Litten, der Nichte von Hans. Alle lesen gut und ausdrucksvoll, aber besonders Patricia Litten hat es geschafft, mich zu berühren.

Ein ergreifendes, wichtiges Hörbuch!

Cover_Litten_TrotzderTränen

Irmgard Litten: Trotz der Tränen. uccello 2013. 3 CDs, 220 Seiten, Euro 17,90, ISBN 978-3937337517.

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Ich danke dem ucello-Verlag für das Rezensionsexemplar!

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