Sina Trinkwalder: Fairarscht

Retten wir die Welt, oder zumindest Bauern in Afrika oder Südamerika, wenn wir faire Produkte kaufen? Verhindern wir damit Kinderarbeit? Und wie sieht es mit Bio-Lebensmitteln aus? Wer profitiert davon? Doch in erster Linie die Natur, oder? Und bestimmt ist alles gut, wenn ein Label auf dem Produkt klebt – oder?

Sicher bin ich nicht die Einzige, die sich von Zeit zu Zeit solche Fragen stellt, aber gleichzeitig auch die Antworten darauf zu wissen meint. Natürlich tue ich Gutes, wenn ich fair gehandelte und biologisch produzierte Projekte kaufe, dachte ich. Dass dafür ein höherer Preis zu zahlen ist, habe ich billigend in Kauf genommen. Dass alles nicht so fair, bio und weltrettend ist, wie das Label zu vermitteln scheint, analysiert Sina Trinkwalder in ihrem Buch. Zunächst macht sie deutlich, wie wir Konsumenten handeln und warum wir das tun, bevor sie aufzeigt, wie Industrie und Handel die Käufer „fairarschen“, wie sie das nennt. Am Schluss erklärt sie, dass wir, die Konsumenten, es in der Hand haben, diese Muster und Strategien zu ändern – und zwar nur wir, denn die Interessen des Handels sind andere. Jeweils am Ende eines jeden Kapitels fasst sie das Gesagte in kurzen, prägnanten zu Sätzen, sodass auch der eilige Durchblätterer den Kern ihrer Aussagen erfassen kann (was aber keinesfalls eine empfehlenswerte Lesestrategie wäre).

Ein Beispiel: Trinkwalder zeigt die Prozesse auf, die im Fair-Trade-Geschäft ablaufen. Denn es ist ein Geschäft, aber davon profitieren leider nicht unbedingt die Bauern in den armen Ländern, die der Käufer unterstützen möchte. Ein großes Stück vom Kuchen geht an die NGOs, die immer wieder neue Projekte brauchen, um ihr Dasein zu rechtfertigen und sich zu finanzieren, auch wenn beispielsweise eine direkte Kundenbeziehung oft besser wäre. Was mich auch überrascht hat, ist, dass es oft zu einer Überproduktion kommt, sodass der Bauer seine Ware gar nicht als fair verkaufen kann. Teilweise erzielt er höhere Preise, wenn er sie auf dem normalen Markt verkauft. Ähnliche Überkapazitäten gibt es im Biobereich, sodass Bioware beim Discounter landet, ohne als solche gekennzeichnet zu sein. Der brave Biokäufer zahlt also mehr, während Discounter-Kunden teilweise die gleiche Qualität zu günstigsten Preisen bekommen – natürlich ist darauf kein Verlass.

Sina Trinkwalder erläutert, wie sich der Markt in Deutschland in den letzten 50 Jahren verändert hat. Gab es in unserer Kindheit drei Geschmacksrichtungen Joghurt, gibt es heute eine kaum zu überblickende Vielfalt. Warum? Angeblich will es der Kunde so. Tatsächlich müsse der Handel immer neue Kaufanreize setzen, denn für ihn zähle nur das Wachstum. So kann es aber nicht weitergehen, was dem Leser einleuchtet.

Beim Lesen dieses Buches wird sehr deutlich, was im Handel, aber auch beim Kaufverhalten der meisten von uns schief läuft. Trinkwalder macht aber nicht nur darauf aufmerksam, wo es hakt, wo geschummelt und betrogen wird, sondern versucht, dem Leser auch Lösungsansätze mitzugeben.

Wir brauchen Wachstum, denn Wachstum bedeutet Entwicklung und Innovation. Aber wir brauchen es in besser: Wir müssen wieder vor allem gute Produkte herstellen und konsumieren, nicht viele. Wie müssen das Augenmerk auf Langlebigkeit legen und nicht auf „öfter mal was Neues“. Wir müssen unser Konsumverhalten radikal ändern.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan, denn, wie Trinkwalder selber auch erwähnt, gibt es zum Beispiel die geplante Obsoleszenz, die dafür sorgt, dass Produkte nach einer gewissen Zeit kaputtgehen. Außerdem denke ich, dass es uns Käufern nicht immer möglich ist, wirklich zu erkennen, welche Produkte wirklich eine gute Qualität haben. Bei Lebensmitteln ist es sicherlich hilfreich, wenn man direkt beim Bauern einkaufen kann, aber nicht jeder hat einen Hofladen in leicht erreichbarer Nähe. Trotzdem fand ich es gut, auf diese Problematik überhaupt aufmerksam gemacht zu werden.

Das Buch liest sich sehr locker, die Autorin berichtet von vielen persönlichen Erfahrungen und Gesprächen, manchmal auch in recht lockerem Ton, weshalb die Lektüre niemals trocken oder langweilig wurde. So lob’ ich mir das: wichtige Themen leicht zugänglich gemacht. Ich fand die Lektüre äußerst spannend und anregend. Das Buch hat mir die Augen für das Funktionieren des Handels geöffnet, vor allem was die Märkte für Bio- und faire Produkte angeht. Es macht deutlich, dass wir unser schlechtes Gewissen angesichts unseres zu hohen Konsums nicht damit beruhigen können, dass wir brav die teuren Biowaren kaufen und dass es den Bauern in armen Ländern nicht unbedingt besser geht, weil wir zu fair gehandelten Produkten greifen. Welche Schlüsse wir daraus für unser Einkaufsverhalten ziehen, bleibt natürlich jedem Einzelnen überlassen. Aber ich denke, jedem Leser wird klarwerden, dass es nicht beim Status Quo bleiben kann.

Cover_Trinkwalder_Fairarscht

Sina Trinkwalder: Fairarscht. Wie Wirtschaft und Handel die Kunden für dumm verkaufen. Knaur 2016. 208 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-426-78794-6.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – und in eurer Lieblingsbuchhandlung.

3 Replies to “Sina Trinkwalder: Fairarscht”

  1. Wir machen uns auch oft Gedanken um die Gerechtigkeit beim Handel mit der „dritten Welt „. Das Buch klingt interessant. Problem ist, ich weiß auch nicht, ob alles der Wahrheit entspricht, was die Autorin sagt. So geht es mir jedenfalls oft mit diesen anklagenden Büchern.

    LG
    Mona

    • Das weiß ich zwar auch nicht, finde aber, dass das überwiegend sehr glaubhaft und nachvollziehbar klingt, manches wird auch durch Quellen untermauert. Ich denke allerdings, dass das Handeln der NGOs nicht pauschal verurteilt werden sollte, weil sie ganz sicher an vielen Orten auch viel Gutes erreicht haben.

  2. Pingback: Lieblingslinks im Juni » 50percentgreen - Naturkosmetik & Nachhaltigkeit

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