Griechische Mythologie modern präsentiert
Griechische Sagen sind zeitlos. Noch heute begeistern sie Generation um Generation. Viele sind so bekannt, dass Stichworte reichen, damit (fast) jeder versteht, was gemeint ist, sie sind in unserer Alltagssprache verwurzelt. Völlig vergebens schuften wie Sisyphos, sich einschleichen wie mit einem Trojanischen Pferd oder Unheil vorhersagen wie Kassandra – wir wissen gleich Bescheid. Doch könnten sie nicht etwas moderner präsentiert werden? Doch, können sie. Zwanzig Poetry-Slammer haben die alten Stoffe aufgegriffen und auf ihre ganz persönliche Weise präsentiert, mal gereimt, mal reimlos. Jeder Abschnitt beschäftigt sich mit einer Sagenfigur oder einem -thema: Die Slammer setzen sich mit dem Trojanischen Pferd, mit Kassandra, Odysseus, Pygmalion, Sisyphos, Elektra, Herkules, Narziss, Medea, den Zentauren, Ikarus, Prometheus und Hermes auseinander.
Für die, die sich doch nicht mehr so gut erinnern, wird jeder Abschnitt mit einer kurzen Erklärung eingeleitet, auch wird (zum vertiefenden Lesen) erwähnt, wo der Stoff in der Literatur schon früher bearbeitet wurde.
Sieben der Texte kann man auch anhören, wenn man einen QR-Code einscannt.
(…) werde opfer und täter,
erwache mir selbst gegenüber, später
verfluche ich mich für diese ichbezogenheit
ich ich
ich
ich kann nicht mehr, bin so müde
bin nicht, kann ich mehr so,
ich bin narziss und
im spiegel ohne lächeln.
aus: Narziss von Jule Weber
Haben die Mythen uns noch etwas zu sagen?
Einige der Slammer erzählen die antiken Stoffe mit ihren Worten nach, andere übertragen sie und ihre Bedeutung auf sich selbst oder ihre Lebenswirklichkeit. Es ist unmöglich vorauszusehen, was einen erwartet, das macht die Lektüre überraschend und abwechslungsreich. Auch die Sprache variiert sehr, während sich die einen an traditionellen Reimformen orientieren, klingen andere sehr modern.
Zu Hydra, der neunköpfigen Schlange,
schlich Herakles, das Schwert im Gewande.
Zu richten das Monster, das widerliche
mit seinem Terror beherrschte die Lande.
aus: Marc-Uwe Kling: Die Hydra (oder: „Ich bin Herakles!“, sprach Herakles)
Ich fand es verblüffend, wie unterschiedlich die Interpretationen sind, was einzelne Slammer aus dem Stoff herausholen, welche Wendungen sie ihm geben. Sehr spannend und äußerst unterhaltsam! Besonders gut finde ich, dass man zumindest einen Teil der Texte anhören kann. Denn so schön es auch ist, diese Texte nachlesen zu können, so leben Slams doch zu einem großen Teil vom Vortrag.
Die Zusammenstellung präsentiert mir schon bekannte Slammer, aber ich lernte auch neue Namen kennen, nach denen ich jetzt gezielt Ausschau halten kann.
Gut gefällt mir auch, dass in den Einleitungen noch einmal ins Gedächtnis gerufen wird, welcher Gott und welcher Held was mit wem warum getan hat. Die Zusammenhänge waren mir nicht mehr in allen Fällen präsent. Und wer sich für einen bestimmten Mythos besonders interessiert, findet reichlich Hinweise auf weiterführende Lektüre unterschiedlichster Art bei Schiller, Fühmann, Wolf, Joyce, Hauptmann und vielen anderen.
Fazit: Vielfältige und häufig überraschende gelungene Zusammenstellung von Poetry-Slam-Texten für Slam-Fans und Liebhaber der griechischen Mythologie, die Lust haben, sich auf ganz neue Interpretationen der alten Stoffe einzulassen.
Nik Salsflausen (Hrsg.): Afterwork mit Sisyphos. Alte Mythen, neue Texte im Poetry Slam. Satyr 2017. 144 Seiten, inkl. 7 Audiolinks, Euro 12,90, ISBN 978-3-944035-87-1.
Zur Verlagsseite – bei Amazon – bei Buch7 – im Onlineshop eurer Buchhandlung – oder in der Buchhandlung um die Ecke.
Die beteiligten Slammer: Sebastian 23, Amina Abdulkadir, Florian Cieslik, Fee, Tobias Gralke, Sven Hensel, Philipp Herold, Renato Kaiser, Jakob Kielgaß, Marc-Uw Kling, Moritz Konrad, inia LaGrande, Heiner Lange, Marius Loy, Jan Möbius, Nick Pötter, Nik Salsflausen, Alex Simm, Carolin Süss, Jele Weber, Marvin Weinstein
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.