Eine inspirierende Frau (1): Sidonia Hedwig Zäunemann 1714-1740

Dichterin, Vorreiterin der Emanzipation, wissbegierige Frau

Am 11. Dezember 1740 schwang sich die junge Erfurterin Sidonia Hedwig Zäunemann auf ihr Pferd, um wie schon so oft zuvor ihre Schwester zu besuchen, die mit ihrem Mann im etwa 50 Kilometer entfernten Ilmenau lebte. Sie ritt ohne männliche Begleitung, was absolut unüblich war, und wie immer trug sie Männerkleidung. Es ist davon auszugehen, dass sie auch auf den unbequemen und unsicheren Damensattel verzichtete, da sie als forsche Reiterin bekannt war. Ihr Anblick sorgte in den Gassen Erfurts für Kopfschütteln, doch wusste jeder, wer sie war.

Die Abbildung Hedwig Maria Zäunemanns auf dem Gedankstein auf dem Friedhof in Plaue

Sidonia kannte die Strecke genau, über Arnstadt ritt sie nach Plaue und weiter Richtung Ilmenau. Doch als sie die hochwasserführende Zahme Gera queren wollte, die ihrem Namen an diesem Tag so gar keine Ehre machte, brach der Steg ein oder wurde weggespült. Einen Tag später fand man ihre Leiche, Sidonia Hedwig Zäunemann wurde auf dem Friedhof von Plaue begraben.

Erfurt brennt!

Trotz ihrer erst 26 Jahre hatte Sidonia Zäunemann sich bereits einen guten Ruf als Dichterin erarbeitet. In Erfurt war ihr Gedicht über den großen Stadtbrand wohlbekannt, bei dem auch das Haus ihrer Familie zerstört worden war.

O Vater-Auge! sieh doch drein!
Erbarme dich, und wehr dem Feuer!
Denk, daß wir dein Geschöpfe seyn!
Komm! dämpfe dieses Ungeheuer.
Das Unglück hat noch keine Ruh;
Mein Gott! die Gassen fallen zu,
Da heißt es: rettet euer Leben!
Laßt Eymer und auch Sprizen stehn,
Dort will sich schon ein Balken drehn
Und euch den Rest im Fallen geben.

(…)

Wer hilft mir? wird ich nicht erhört!
Ihr Eltern! seht! wir sind verlohren.
Die Flamme, die dort aufwerts fährt,
Hab uns den Untergang geschworen.
Das Haus, so einst zur Asche ward,
Steht in Gefahr und leidet hart,
Und soll von neuen wüste werden.
Der Garten rauscht, ach! widersteht!
Hier liegt das Feuer wie gesät;
Die Kräuter liegen auf der Erden.

(aus: Das am 21. und 22ten October 1736 unter Gluth und Flammen ächzende Erfurt)

Einfahrt ins Ilmenauer ins Bergwerk

Aufsehen hatte sie mit ihrem Gedicht über einen Besuch eines Bergwerks in Ilmenau erregt. Ja, sie hatte es geschafft, als Frau ein Bergwerk besichtigen zu dürfen – genau genommen waren sogar zwei. 1737! Auch zu diesem Anlass hatte sie Männerkleidung getragen. Natürlich, so denken wir heute, aber sie sah die Notwendigkeit, dies in ihrem Gedicht zu rechtfertigen. Stundenlang war sie durch die niedrigen Gänge gestiegen, hatte sich alles erklären lassen und die schwere Arbeit der Bergmänner gewürdigt.

Des Bergwerks Schönheit nimt mich ein,
Ich will / ich muß ein Bergmann seyn.

Ich kan die Regung meiner Brust
Ohnmöglich länger unterdrücken:
Ich muß zu meiner Herzens-Lust
Mich mit dem Bergmanns-Kleide schmücken.
Der Schacht-Hut ziert mich schon, nun bin ich ganz verkleidt!
Mein Gruben-Licht hat auch sein Feuern.
Kein unterirdisch Ungeheuer,
Noch Fahrt, Gefahr noch Müh sezt mich in Bangigkeit.
Schweigt sille! denn mein Geist wagt alles durchzugehen.
Schweigt! lasst mich im Berg’ die Weisheit Gottes sehen.
Glaubt, daß ich iezt so lustig bin,
Das macht, mir liegt die Fahrt im Sinn.

Man wendet zwar darwider ein:
Kein Weib soll Mannes-Kleider tragen:
(Wenn es gelegne Zeit wird seyn,
Will ich hierauf die Antwort sagen.)
Man wirft mir weiter vor: Dies sey nicht mein Beruf.
Es sey von Gott der Weiber-Orden
Zum Haushalt nur erschaffen wirden,
Man nimmt des Salomons sein Spruch-Buch zum Behuf.
Der König hat zwar recht; allein wer wills uns wehren,
Wenn wir darneben auch und von dem Pöbel lehren.
Wer straft uns, wenn auch unser Geist
Ein Herz voll Muth und Feuer weist?

Wozu hat uns die höchste Macht
Verstand und Muth ums Herz gegeben,
als daß wir auch nach Wissenschaft
Und edlen Werken sollen streben?
Wie manches Frauenbild macht Kiel und Blat bekannt;
Wie manches ist durch Helden-Thaten
Ins Buch der Ewigkeit gerathen.
Spieß, Degen, Blat und Kiel schmückt auch die Weiber-Hand.
Weswegen soll denn nicht ein Frauenbild auf Erden
Durch Leder, Licht und Fahrt ein kühner Bergmann werden?
Auch diese That muß rühmlich seyn!
Glück auf! Ich fahre freudig ein!

(aus: Das Ilmenauische Bergwerk, wie solches den 23sten und 30sten Jenner der 1737. Jahres befahren …)

Poeta laureata

1738 erhielt sie von der Universität Göttingen als zweite Frau den Ehrentitel poeta laureata. Goethe, der – nicht zu vergessen – Minister für Bergbau war, war von ihrem Bergwerksgedicht beeindruckt und empfahl die Lektüre ihrer Werke, was ihrer Bekanntheit sehr förderlich war.

Die zahme Gera im Juni – ganz friedlich

Schon als Kind hatte sich Sidonia Hedwig Zäunemann wohl wenig für Handarbeiten und hausfrauliche Pflichten interessiert, sondern sich lieber selber Französisch und Latein beigebracht und erste Verse geschrieben. Sie forderte mehr Rechte für Frauen, wünschte sich beispielsweise, dass diese wissenschaftlich arbeiten können. Sie war eine talentierte, neugierige und mutige Frau, die sich über die Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzte und ihren eigenen Weg suchte und fand. Es ist sehr schade, dass sie nur 26 Jahre alt werden durfte, sicherlich hätte sie eine Wegbereiterin für die Interessen der Frauen ihrer Zeit werden können. Obwohl sie mit ihren Gedichten sehr erfolgreich war, geriet sie völlig in Vergessenheit, bis die US-amerikanische feministische Literaturwissenschaft sie wiederentdeckte.

Quellen:

Literaturland Thüringen:
http://www.literaturland-thueringen.de/personen/sidonia-hedwig-zaeunemann/
http://www.literaturland-thueringen.de/artikel/sidonia-hedwig-zaeunemann-in-thueringen/plaue-kirchhof-unserer-lieben-frau/
http://www.literaturland-thueringen.de/orte/grab-von-sidonia-hedwig-zaeunemann/

Projekt Gutenberg:
http://gutenberg.spiegel.de/autor/-657
Hier findet man außerdem drei ihrer Gedichte.

Deutschlandfunk:
http://www.deutschlandfunk.de/dichterin-zaeunemann-eine-der-mutigsten-deutschen-poetinnen.871.de.html?dram:article_id=339458

Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sidonia_Hedwig_Zäunemann

Amazon:
Man kann sich ihre Gedichte auch kostenlos bei Amazon herunterladen: https://amzn.to/2lZBsJ7

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