Sunwha hat einen schlechten Start ins Leben. Sie lebt in Nordkorea und von Anfang an sind die Lebensmittel knapp. Sie wächst mit einem ewigen Hungergefühl auf. Als Sunwha in die Schule kommt, lernt sie zunächst begeistert. Die Kinder hören viele Geschichten über Kim Jong-Il und sie liebt ihn, wie es der Staatsdoktrin entspricht. Später fällt ihr das Lernen schwerer, sie ist oft so erschöpft, dass sie kaum aus dem Bett kommt. Deswegen sind ihre Noten auch nicht gut genug für ein Studium. Sie arbeitet nun in einer Fabrik und muss ihre eigenen Rationen verdienen. Doch diese werden immer mehr gekürzt. Als sie sich verliebt, glaubt sie an ein glückliches Leben – eine grobe Fehleinschätzung. Sie kehrt zu ihren Eltern zurück, wo sie nicht willkommen ist. Wieder ist der Hunger groß, denn ihre Rationen erhält ihr Mann. Schließlich verkauft ihre Mutter gegen Sunwhas Willen sogar ihren Sohn. In den folgenden Jahren wird die Ernährungslage so schlecht, dass sie mehrfach in China Essen für ihre Familie besorgt. Der Preis ist hoch: Sie wird dort verkauft, vergewaltigt, abgeschoben und landet mehrfach in nordkoreanischen Gefängnissen. Als sie erneut ein Kind bekommt, beschließt sie, wieder zu flüchten, aber dieses Mal für immer …
Entgegen dem Untertitel: „Ein Mutter erzählt ihre Flucht aus Nordkorea“ behandelt das Buch nicht nur die Geschichte der Flucht, sondern es handelt sich um eine Biografie, basierend auf vielen Gesprächen mit der Protagonistin, die mit den frühesten Erinnerungen der Autorin einsetzt und auch Teile der Geschichte der Eltern aufgreift. Natürlich erfährt der Leser auf diese Weise nicht nur von dem Leben einer einzelnen Frau oder Familie, sondern erhält Einblicke in das Leben in Nordkorea im Allgemeinen. Abseits der Hauptstadt ist die Versorgungslage äußerst schlecht und wird nach dem Tod Kim Jong-Ils sogar noch schlechter. Schließlich hören viele sogar auf zu arbeiten und versuchen, sich mit dem Verkauf von Lebensmitteln über Wasser zu halten. So besorgt Sunwha Hundewelpen, schmuggelt sie nach China, bekommt dafür Reis, schmuggelt ihn zurück nach Nordkorea, wo sie ihn wiederum gegen andere Lebensmittel eintauscht. Doch sie geht auch Kräuter sammeln und isst manchmal sogar Gras. Die Lebensumstände der einfachen Leute sind erschütternd, Parteimitgliedern geht es etwas besser. Frauen haben in dieser Gesellschaft wenig zu sagen, der Ruf der Familie ist am wichtigsten. Noch erschütternder ist die Situation in den Gefängnissen, in denen es noch weniger zu essen gibt, viele Frauen zusammen in einer Zelle eingesperrt sind, wo sie auf blankem Boden hocken müssen. Misshandlungen und Zwangsabtreibungen sind an der Tagesordnung. Es ist beeindruckend, dass nach all diesen Erfahrungen der Wille und die Lebenskraft der jungen Frau nicht gebrochen sind.
Von Politik scheint Sunwha wenig mitbekommen zu haben, sehr selten wird etwas dazu erwähnt. Die einfachen Menschen scheinen zu sehr damit beschäftigt zu sein, ihr Überleben und das ihrer Familien zu sichern, die Verhältnisse werden als gegeben hingenommen. So spielt sie im Roman nur dann eine Rolle, wenn Sunwhas Leben direkt betroffen ist wie im Fall einer Amnestie oder als eine Nachbarsfamilie spurlos verschwindet.
Ich war überrascht, wie vergleichsweise einfach es doch zu sein scheint, aus Nordkorea nach China zu flüchten. Doch in China erwartet die Nordkoreaner nichts Gutes. Die Frauen werden häufig verkauft oder verheiratet, aber wenn die Behörden sie erwischen, werden sie abgeschoben. Es reichte also nicht aus, dass Sunwha am Ende wieder nach China flüchtet, sie musste weiter in ein Land kommen, das ihr Asyl gewährt.
Übrigens empfehle ich, den Klappentext nicht zu lesen, der herzlich wenig mit dem Geschehen im Buch zu tun hat. So verkauft nicht der Mann der Protagonistin das Kind, sondern ihre Mutter (wenn auch mit seinem Einverständnis), ihre Odyssee kommt nur zu geringem Umfang wegen der Suche nach dem Sohn zustande, sondern sie versucht, an Lebensmittel zu gelangen, und das Kind, mit dem sie flüchtet, ist nicht lebensbedrohlich erkrankt.
Die Biografie wird von Kommentaren der Flüchtlingsanwältin Soohyun Nam und des Politikprofessors und Nordkorea-Experten Stephan Haggard abgerundet. Die beiden ordnen das Buch ein und bewerten seine Glaubwürdigkeit, was ich sehr wichtig finde, weil der überwiegende Teil der Leser dazu nicht in der Lage sein dürfte. Beide weisen darauf hin, dass Sunwhas Fall nur einer unter vielen ist und andere Geflüchtete Ähnliches berichten wie sie.
Ein bewegender und erschütternder Bericht, der Einblicke in eine uns sehr fremde Welt erlaubt.
Lucia Jang mit Susan McClelland: Ich bat den Himmel um ein Leben. Eine Mutter erzählt ihre Flucht aus Nordkorea. Mit einem Nachwort von Stephan Haggard. Aus dem Englischen von Antoinette Gittinger. Knaur 2015. 320 Seiten, Euro 9,99, ISBN 978-3-426-78739-7.
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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.