Eine Geschichte von Trennung, Sehnsucht und Melancholie
Still lag der blaue Stein im tiefen Wald.
Er liebte den Gesang der Vögel, den Duft der Blumen und das Licht, das durch das Laub herabfiel.
Er war gerne hier, und er glaubte, er würde ewig bleiben.
Doch dann verwüstet ein lange währender Brand den Wald. Der Stein übersteht ihn, der Regen wäscht die Asche fort und er erstrahlt weithin sichtbar. Nun weckt er die Begehrlichkeiten der Menschen. Der Stein wird zerteilt und ein Teil fortgeschafft. Diesen Teil begleiten wir auf seiner langen Reise. Zunächst wird mehrmals ein Standbild daraus gemacht, das irgendwann kaputtgeht, wenn die Sehnsucht ihn überfällt. Natürlich wird er dabei immer kleiner, aber immer wird aus dem Rest etwas Neues gestaltet. Einmal wird er ein Grabstein und einmal Teil einer großen Mauer, einmal eine Kugel und einmal ein Herzanhänger für eine Kette. Immer kleiner und kleiner wird er …
Wunderschöne Bilder
Wie auch schon in dem Buch Die Sternennacht (zur Rezension) finde ich die Bilder Liaos sehr beeindruckend, wobei ich nicht verstehe, dass der Stein bei seiner Bearbeitung so oft die Farbe wechselt. Wie wird aus einem blauen Stein ein grauer Elefant oder ein rosafarbener Vogel? Gut, er könnte angemalt worden sein, aber das ist doch bei Skulpturen eher unüblich.
Es ist eine sehr traurige Geschichte, die hier erzählt wird. Aus der Heimat gerissen, entwurzelt, ist der Stein der Willkür der Menschen ausgeliefert. So betrachtet man etwas Unbelebtes normalerweise nicht, aber hier entwickelt man Mitleid mit ihm. Der Stein erlebt die verschiedensten Umgebungen und Menschen, aber nie wird er heimisch. Immer, wenn die Sehnsucht ihn überfällt, zerbricht er wieder. Ich denke, das kann man gut auf den Menschen übertragen. Nicht umsonst sagt man: „Etwas ist in ihm zerbrochen“.
Im Klappentext steht:
Selbst ein schwacher Schimmer an Hoffnung reicht aus, um das gesamte dunkle Universum zu erleuchten.“
Ich finde nicht, dass diese Geschichte Hoffnung macht, eher im Gegenteil. Ja, ein paar Körnchen kehren zurück, aber was ist aus dem großen, prächtigen Stein geworden? Und wie lange hat das gedauert? Zeiten werden im Buch zwar nicht genannt, aber es ist ja klar, dass die dargestellten Prozesse sehr lange dauern. Dem Buch gelingt es aber sehr gut, die Gefühle Sehnsucht, Einsamkeit und Trauer zu vermitteln.
Manch ein Leser, eine Leserin mag vielleicht auch ein wenig über sich selbst nachdenken: Wo komme ich her? Vermisse ich diesen Ort? Bin ich freiwillig gegangen oder wurde ich herausgerissen? Welche Situationen in meinem Leben gab es, bei denen ein Stück von mir zerbrochen ist?
Ein Bilderbuch für Erwachsene muss nicht fröhlich sein. Dieses hier lässt mich eher nachdenklich und ein wenig traurig zurück. Daran ist aber nichts falsch!
Fazit: Beieindruckende Bilder und eine Geschichte, die nachdenklich stimmt – wieder ein wunderbares Bilderbuch für Erwachsene von Jimmy Liao.
Jimmy Liao: Der blaue Stein. Aus dem Chinesischen von Marc Hermann. chinabooks 2018. 120 Seiten, Euro 22,90, ISBN 978-3-905816-83-9.
Wer sich für Bilderbücher für Erwachsene interessiert, findet einige davon bei der Geschichtenagentin.
__________________________________________________
WERBUNG (*)
Zur Verlagsseite – bei Amazon – bei der Autorenwelt – im Onlineshop eurer Buchhandlung – und in eurer Lieblingsbuchhandlung.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
(*) Nach dem Telemediengesetz sind Links auf Verlage, Shops und Affiliate-Links (hier: Amazon) als Werbung zu kennzeichnen, übrigens ganz unabhängig davon, ob das Buch ein Rezensionsexemplar ist oder selbst gekauft wurde. Ich bekomme kein Geld von den Verlagen, sie stellen mir lediglich ein Buch zur Verfügung. Das verpflichtet mich zu nichts, ich schreibe auch kritische Rezensionen oder verzichte ganz darauf, ein Buch zu besprechen. Meine Meinung ist nach wie vor unabhängig. Die Links sind ein Service für euch Blogbesucher, auf den ich nicht verzichten möchte. Lediglich über den Amazon-Affiliate-Link verdiene ich etwas Geld – falls jemand etwas bestellt, nachdem er den Link benutzt hat, bekomme ich ein paar Cent.
Pingback: Jimmy Liao: Das Kino des Lebens – Wortakzente